Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
hatte Simpkin einem einfachen Botenkobold nicht zugetraut. Er wich taumelnd zurück, ich flog pfeilgeschwind über seinen Kopf hinweg und platzierte noch rasch einen kleinen Abschiedsgruß nach Vogelmanier auf seinen Scheitel. Dann war ich endlich draußen, in luftiger Freiheit!
Wo sich ein Netz aus Silberfäden über mich senkte und mich zu Boden warf.
Das Netz war eine Falle der fiesesten Sorte: Es fesselte mich auf sämtlichen Ebenen, wickelte sich um mein gesträubtes Gefieder, meine strampelnden Beine und meinen um sich hackenden Schnabel. Ich wehrte mich mit aller Kraft, doch die Fäden klebten schwer wie feuchte Erde an mir, das Element, das mir am meisten zuwider ist, und obendrein bereitete mir jeder Kontakt mit dem Silber unerträgliche Qualen. Ich konnte die Gestalt nicht wechseln, ich konnte keine Magie anwenden, weder schwache noch mächtige. Meine Substanz litt bei der leisesten Berührung der Fäden und mein Geflatter machte alles nur noch schlimmer.
Schließlich kapitulierte ich. Ich kauerte als regloses Federhäufchen unter dem Netz und schielte mit einem Auge unter dem angewinkelten Flügel hervor. Durch das tödliche Gewirk sah ich das graue, vom letzten Regen noch nasse, mit glitzernden Glassplittern übersäte Straßenpflaster und hörte Simpkin von irgendwoher lang und schrill lachen.
Dann verdunkelte ein Schatten die Platten des Bürgersteigs.
Zwei große, gespaltene Hufe stampften klackernd auf den Beton, der dort, wo sie auftrafen, Blasen schlug und Risse bekam.
Über das Netz legte sich ein Gifthauch von Knoblauch und Rosmarin. Mein Verstand war umnebelt, mein Kopf drehte sich, meine Muskeln erschlafften…
Dunkelheit umfing den Falken und sein Bewusstsein verlosch wie eine heruntergebrannte Kerze.
Nathanael
18
Die beiden Tage nach der Benennung waren für Nathanael alles andere als angenehm. Körperlich befand er sich auf einem Tiefpunkt, daran waren die Beschwörung von Bartimäus und ihr magisches Duell schuld. Als Nathanael von seinem Ausflug zur Themse zurückkehrte, schniefte er schon leise, am Abend schnüffelte er wie ein Schlachtschwein und am nächsten Morgen hatte er eine ausgewachsene Rotzund-Wasser-Erkältung. Als er wie ein Gespenst in Mrs Underwoods Küche erschien, warf sie nur einen kurzen Blick auf ihn, packte ihn an den Schultern, drehte ihn herum und schickte ihn wieder ins Bett. Kurz darauf stieg sie mit einer Wärmflasche, einem Stapel Schokocreme-Broten und einem dampfenden Becher heiße Zitrone mit Honig die Treppe hinauf. Nathanael hustete seinen Dank unter dem Federbett hervor.
»Keine Ursache, John«, sagte sie. »Ich will heute Morgen keinen Pieps mehr von dir hören. Schließlich müssen wir dich rechtzeitig zur Rede des Premierministers wieder hinkriegen, stimmt’s?« Sie sah sich stirnrunzelnd im Zimmer um. »Hier riecht es ja so nach Kerzen«, sagte sie. »Und nach Räucherwerk. Du hast doch nicht etwa heimlich geübt?«
»Nein, Mrs Underwood.« Im Stillen verfluchte Nathanael seinen Leichtsinn. Er hatte das Fenster öffnen wollen, damit sich der Gestank verflüchtigte, doch am vergangenen Abend war er so müde gewesen, dass er es schlicht vergessen hatte. »Das passiert manchmal. Die Gerüche aus Mr Underwoods Labor ziehen durch das ganze Haus bis nach hier oben.«
»Komisch. Ist mir noch nie aufgefallen.«
Sie schnupperte noch einmal. Nathanaels Blick wurde hypnotisch von einer Ecke seines Teppichs angezogen, unter der zu seinem Entsetzen der Rand eines Pentagramms verräterisch hervorlugte. Mit äußerster Überwindung riss er den Blick davon los und simulierte einen heftigen Hustenanfall. Das lenkte Mrs Underwood ab. Sie reichte ihm den Becher heiße Zitrone.
»Trink das, mein Lieber. Und dann schlaf ein bisschen«, sagte sie. »Ich sehe gegen Mittag wieder nach dir.«
Als sie wiederkam, war das Fenster längst geöffnet, das Zimmer ausgiebig gelüftet und der Fußboden unter dem Teppich sauber geschrubbt worden.
Nathanael lag im Bett. Sein neuer Name, den ihm Mrs Underwood offensichtlich so schnell wie möglich einprägen wollte, klang in seinen Ohren fremd und falsch, beinah ein bisschen lächerlich. John Mandrake. Das mochte zu den Zauberern in den Geschichtsbüchern passen, aber wohl kaum zu einem triefnasigen, schnupfengeplagten Jungen. Es würde ihm schwer fallen, sich an seine neue Identität zu gewöhnen, und noch schwerer, seinen alten Namen zu vergessen…
Daran würde ihn allein schon Bartimäus hindern. Trotz seiner
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