Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
immer noch unter einem Bann?«
Ein langer, krummer Fingernagel deutete auf die Goldmaske. »Siehst du den da?«, fragte das Gerippe zurück, und Schwermut schwang in seiner Stimme mit. »Es ist alles seine Schuld. Mit seinem letzten Atemzug hat er mich in diese Gebeine gebannt, hat mir aufgetragen, sie bis in alle Ewigkeit zu hüten und seine Schätze ebenfalls. Das meiste hab ich dabei…« Es drehte sich um, und ich sah, dass es einen modischen Rucksack trug, was reichlich unpassend wirkte. »Außerdem«, ergänzte es, »soll ich all jene töten, die in seine Gruft eindringen. Hör mal, zehn von zwölfen ist doch eigentlich nicht schlecht, oder? Ich hab mein Bestes getan, aber es macht mir ziemlich zu schaffen, dass mir zwei entwischt sind.«
»Ein prima Schnitt«, erwiderte der Kobold beschwichtigend. »Das hätte niemand besser machen können. Und die beiden waren vermutlich ziemlich harte Brocken, was?«
Das rote Licht flackerte wieder auf und hinter der Maske hörte man Zähne knirschen. »Einer war, glaube ich, ein Mann, ich hab’s nicht so genau gesehen. Der war feige, ist schon abgehauen, als seine Freunde noch gekämpft haben. Aber die andere… Ah, das war ein munteres Persönchen! Wie gern hätte ich ihren weißen Hals in die Finger gekriegt! Aber… wer hätte bei so einem jungen Hüpfer solchen Schneid vermutet? Sie hatte massives Silber dabei, das hat Honorius in den armen alten Knochen gezwackt, als er nach ihr greifen wollte.«
»Das ist ja abscheulich!« Der Kobold schüttelte mitleidig den Kopf. »Wetten, sie hat dir noch nicht mal verraten, wie sie heißt?«
»Stimmt, aber ich hab gehört, wie die anderen sie angeredet haben – ha, und damit krieg ich sie doch noch!« Das Gerippe führte einen kleinen Kriegstanz auf. »Kitty heißt sie, und wenn ich sie erwische, muss die kleine Kitty sterben. Aber ich hab’s nicht eilig, ich hab Zeit. Mein Herr und Meister ist tot, und ich befolge immer noch seine Befehle, hüte seine Gebeine. Ich nehme sie halt immer mit, mehr brauche ich nicht zu machen. Ich kann gehen, wohin ich will, und so viele Kobolde verputzen, wie ich lustig bin. Und ganz besonders«– die roten Augen loderten auf –»die geschwätzigen, überheblichen.«
»Mhmm.« Der Kobold kniff die Lippen zusammen.
»Und weißt du, was das Beste ist?« Das Gerippe wirbelte auf dem Fersenbein herum (ich sah, wie sich die beiden Dschinn auf dem nächsten Dach wieder hinter ihren Schornstein duckten) und beugte sich vertraulich zu mir herab. »Es tut überhaupt nicht weh!«
»Hm-hmmm?« Ich hielt immer noch die Klappe, versuchte aber, hinlänglich Interesse zu bekunden.
»Ganz recht, überhaupt nicht. Das erzähl ich auch jedem Geist, dem ich begegne. Die beiden dahinten«– es zeigte auf die beiden anderen Kobolde, die inzwischen genug Grips gehabt hatten, sich ans andere Dachende zu verdrücken –, »die beiden da hinten haben es sich schon ein paar Mal angehört. Und du bist zwar nicht weniger widerwärtig, hast aber das große Glück, dass ich es auch dir noch einmal erkläre, denn ich möchte euch alle an meiner Entdeckung teilhaben lassen. Diese Gebeine schützen meine Substanz, weshalb ich nicht in der Verlegenheit bin, mir eine eigene, verwundbare Erscheinungsform suchen zu müssen. Ich hab’s mir in den Knochen so gemütlich gemacht wie ein Vögelchen in seinem Nest. Auf diese Weise sind mein Herr und ich zu unserem beiderseitigen Vorteil vereint. Ich erfülle meinen Auftrag, darf aber trotzdem machen, was mir beliebt, ohne dass mir etwas wehtut. Kaum zu fassen, dass nicht schon eher jemand auf diese Idee gekommen ist!«
Der Kobold brach sein Schweigegelübde. »Eine kleine Anmerkung: vielleicht deshalb, weil der betreffende Zauberer dazu tot sein muss? Die meisten Zauberer sind nicht bereit, ein solches Opfer zu bringen. Denen ist es piepegal, ob unsere Substanz leidet, während wir ihnen zu Diensten sind! Wahrscheinlich ist es ihnen sogar ganz recht, auf diese Weise bleiben wir bei der Stange. Und ganz bestimmt liegt es nicht in ihrem Interesse, dass wir einfach durch die Gegend spazieren und tun und lassen, was wir wollen, oder?«
Die Maske musterte mich. »Für einen Kobold bist du ganz schön unverschämt«, sagte sie schließlich. »Dich fress ich als Nächsten, denn meine Substanz braucht neue Nahrung. 67
(Allein daran, dass sich Honorius offenbar nicht die Mühe gemacht hatte, die Ebenen durchzuprüfen, konnte man erkennen, dass er nicht bei Verstand war, andernfalls
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