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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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gleich aus, es hatte keine bestimmte Form. Es war eine Aura, das schon… der Widerschein einer Substanz… aber seine eigentliche Erscheinungsform ließ sich einfach nicht ausmachen. Ich versuchte es auf der ersten Ebene, und dort erhaschte ich einen Blick auf eine hüpfende, menschenähnliche Gestalt, die von der untergehenden Sonne aller Farbe beraubt wurde.
    Sie sprang gewandt wie eine Gämse von Giebel zu Wetterfahne, landete wippend noch auf dem schmalsten First, drehte sich wie ein Kreisel und hüpfte weiter. Als sie näher kam, drangen kleine Jauchzer wie von einem überdrehten Kind an mein Ohr.
    Meine Koboldkollegen verfielen plötzlich in eine Art Torschlusspanik, hörten auf, an ihren Zehennägeln rumzufriemeln und ihre Schwänze zu wienern, und hüpften ihrerseits in dem Versuch, sich hinter dem jeweils anderen zu verstecken, über das Dach, wobei sie die Bäuche einzogen, um weniger aufzufallen. »O je!«, sagten sie und: »Au weia!«
    Ich entdeckte zwei, drei andere Dschinn, die der hüpfenden Gestalt in sicherer Entfernung folgten. Warum sie noch nicht zugeschlagen hatten, war mir ein Rätsel, das sich jedoch bald aufklären sollte, denn das Geschöpf kam jetzt direkt auf mich zu.
    Ich erhob mich, drapierte den Schwanz geschmackvoll über meine Schulter und wartete ab. Die beiden anderen Kobolde flitzten quiekend um mich herum, bis ich den Fuß ausstreckte und dem einen ein Bein stellte. Der andere konnte nicht mehr bremsen und plumpste auf seinen Kameraden. »Still jetzt!«, fauchte ich. »Habt ihr denn gar keinen Stolz?« Sie glotzten mich stumm an. »Schon besser.«
    »Weißt du was?« Der eine Kobold stupste den anderen in die Rippen. »Vielleicht ist er ja der Nächste!«
    »Genau! Vielleicht schnappt es sich diesmal ihn. Dann sind wir aus dem Schneider!«
    »Wir stellen uns hinter ihn. Schnell!«
    »Ich zuerst! Du gehst hinter mich!«
    Darauf folgte ein würdeloses Knuffen und Drängeln, weil jeder der Erste sein wollte, der sich hinter mir versteckte. Ein Weilchen war ich vollauf damit beschäftigt, Backpfeifen auszuteilen, dass man es in der ganzen Stadt nur so klatschen hörte. Als ich zwischendurch aufblickte, stand kaum zwei Meter entfernt breitbeinig über dem Geländer des Flachdachs der ausgebrochene Afrit.
    Ich gestehe, dass mich sein Äußeres verblüffte.
    Ich spreche nicht von der goldenen Maske, die den Zügen des großen, toten Zauberers nachgebildet war. Ich spreche auch nicht von dem fusseligen Haar, das darunter hervorwehte. Ich meine auch nicht die skelettierten Hände, die er lässig auf das Becken stützte, nicht die Halswirbel, die aus der Krawatte ragten, und auch nicht den verstaubten Beerdigungsanzug, der um sein Klappergestell flatterte. Das alles war nichts Besonderes, schließlich bin ich selbst schon dutzende Male als Gerippe erschienen… wer nicht? Nein, was mich überraschte, war vielmehr die Erkenntnis, dass es sich keineswegs um eine selbst gewählte Erscheinungsform handelte, sondern um echte Knochen, echte Kleider und eine echte Goldmaske. Die eigene Substanz des Afriten war so gut wie unsichtbar, verbarg sich irgendwo in den sterblichen Überresten des Zauberers. Er besaß keine eigene Gestalt – weder auf dieser noch auf einer anderen Ebene. So etwas hatte ich noch nicht erlebt. 64
(Es ist nun mal so, dass wir, wenn wir uns in der Menschenwelt materialisieren, in irgendeiner Gestalt erscheinen müssen, und sei es nur als Rauchwölkchen oder als Pfütze. Obwohl manche von uns die Fähigkeit besitzen, auf den unteren Ebenen unsichtbar zu bleiben, müssen auch sie auf den höheren eine Erscheinungsform annehmen, das gehört zu den grausamen Fesseln, die uns die Zauberer anlegen. Da wir am Anderen Ort keine festgelegte Gestalt haben, ist diese Prozedur für uns ziemlich anstrengend und schmerzhaft. Je länger wir dort verweilen, desto schlimmer schmerzt es, wenn auch ein Gestaltwechsel die Nebenwirkungen zeitweise lindern kann. Wie auch immer, wir ergreifen niemals Besitz von stofflichen Objekten, denn je weniger wir mit irdischen Dingen in Berührung kommen, desto besser, außerdem wird uns dergleichen im Verlauf der Beschwörung strengstens untersagt. )
    Was das Gerippe auch den ganzen Tag getrieben haben mochte, es hatte anscheinend einiges auf die Beine gestellt, denn seine Klamotten waren reif für die Altkleidersammlung. Überm Knie klaffte in der Hose ein trendiger Riss, 65
(Nicht ganz so trendig war die durch den Riss blitzende blanke Kniescheibe.2 Ich

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