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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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diesen Geländerstangen ab. Die sind doch nicht aus Eisen, oder? Gut. Dann such ich jetzt einen Juwelier.«
    Ein kurzer Blick auf die Einzelhandelsgeschäfte der Gegend brachte mich auf eine noch bessere Idee. Ein richtiger Silberschmied pries seine Künste mit einer voll gestopften und liebevoll arrangierten Auslage voller Krüge, Humpen, Golfpokale und Ehrenplaketten an. Vogel und Orang-Utan, denen es gelungen war, drei lange Stangen in ihren Besitz zu bringen, hielten ängstlich Abstand, denn die eisige Aura des Silbers wirkte bereits auf unsere Substanz, noch ehe wir die Straße ganz überquert hatten. Aber der Wasserspeier konnte darauf jetzt keine Rücksicht nehmen. Ich griff mir eine Stange, biss die Zähne zusammen, sprang mit ein paar Sätzen zu dem Schaufenster hinüber und schlug die Scheibe ein. 71
(Stell dir einfach vor, wie unangenehm es ist, sich einem lodernden Feuer zu nähern. Genau diese Wirkung hatte das viele Silber auf mich – nur dass es sich kalt anfühlte statt heiß.)
Dann schob ich die Stange geschickt in den Henkel eines großen Humpens und machte mich mit meiner Beute davon, ohne auf das Gezeter im Ladeninneren einzugehen.
    »Seht ihr?« Ich ließ den Humpen vor den Augen meiner staunenden Kollegen an der Stange hin-und herschaukeln. »Das wäre die erste Lanze. Fehlen noch zwei.«
    Nach zwanzig Minuten Tiefflug hatten wir das Gerippe geortet. Was eigentlich nicht weiter schwierig war, denn man musste lediglich dem Geschrei folgen. Anscheinend hatte Honorius wieder Spaß daran gefunden, Menschen zu erschrecken. Er bummelte die Uferpromenade entlang, schwang sich von Straßenlaterne zu Straßenlaterne oder streckte mit einem »Buh!« den Schädel hinter der Ufermauer hervor, was den Passanten unweigerlich einen Heidenschrecken einjagte. Im Grunde ein harmloses Vergnügen, aber wir hatten nun mal unsere Anweisungen, und die besagten, dass wir etwas dagegen unternehmen mussten.
    Jeder von uns dreien trug eine selbst gebastelte Lanze mit einem Silbergegenstand am anderen Ende. Der Vogel hatte einen Dartpokal an seiner Stange hängen, der Orang-Utan, der ein paar Minuten mit dem vergeblichen Versuch verplempert hatte, einen großen Teller auf der Spitze seiner Stange zu jonglieren, hatte sich schließlich mit einem Toastständer begnügt. Zusätzlich hatte ich den beiden einen Schnellkurs in Angriffstaktik verpasst, und so näherten wir uns dem Gerippe jetzt wie drei Schäferhunde, die einen störrischen Bock einfangen wollten. Der Vogel kam von Süden her die Promenade hochgeflogen, der Orang-Utan von Norden und ich von der Stadtseite. Unweit von Cleopatras Needle hatten wir ihn schließlich eingekreist. 72
( Cleopatra’s Needle: ein fünfzehn Meter hoher, ägyptischer Obelisk mit einem Gewicht von über 180 Tonnen, der nichts, aber auch gar nichts mit Kleopatra zu tun hat. Ich muss es wissen, schließlich war ich einer der Arbeiter, die ihn im Jahre 1475 vor Christus zum Ruhme Tutmosis III. aufgestellt haben. Da wir ihn bei Heliopolis in den Sand gerammt hatten, staunte ich nicht schlecht, als ich ihn 3500 Jahre später mitten in London wiedersah. Vermutlich hatte ihn jemand geklaut. Heutzutage darf man aber auch gar nichts aus den Augen lassen! )

Kitty
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    Kitty weinte nicht. Hatte die Zeit in der Widerstandsbewegung auch sonst nichts bewirkt, so hatte sie doch immerhin gelernt, sich, wenn nötig, eisern im Griff zu haben. Weinen brachte jetzt überhaupt nichts. Die Katastrophe war so verheerend, dass jede normale Reaktion unangemessen war. Weder während der verhängnisvollen Vorfälle in der Kathedrale noch unmittelbar danach, als sie auf ihrer kopflosen Flucht zum ersten Mal auf einem ruhigen, kleinen Platz in anderthalb Kilometern Entfernung kurz verschnaufte, gestattete sie sich auch nur einen Anflug von Selbstmitleid.
    Kitty weinte nicht. Hatte die Zeit in der Widerstandsbewegung auch sonst nichts bewirkt, so hatte sie doch immerhin gelernt, sich, wenn nötig, eisern im Griff zu haben. Weinen brachte jetzt überhaupt nichts. Die Katastrophe war so verheerend, dass jede normale Reaktion unangemessen war. Weder während der verhängnisvollen Vorfälle in der Kathedrale noch unmittelbar danach, als sie auf ihrer kopflosen Flucht zum ersten Mal auf einem ruhigen, kleinen Platz in anderthalb Kilometern Entfernung kurz verschnaufte, gestattete sie sich auch nur einen Anflug von Selbstmitleid.
    Die Angst trieb sie weiter, denn sie konnte nicht glauben, dass sie dem Dämon tatsächlich

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