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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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sieht. Pah!« Sie rümpfte die spitze blasse Nase. »Du bist ein kluger Bursche, John«, fuhr sie fort. »Du begreifst, dass ich, wenn der Premierminister die Geduld mit mir verliert, meinerseits die Geduld mit meinen Untergebenen verliere. Das bereitet auch Mr Tallow arges Kopfzerbrechen. Er traut sich kaum, abends ins Bett zu gehen. Er weiß, dass man im Schlaf von Schlimmerem als nur von Albträumen heimgesucht werden kann. Momentan bewahrt er dich vor der vollen Wucht meines Unmuts, aber fühl dich lieber nicht zu sicher. Weil du noch so jung bist, kann man dir leicht für alles Mögliche die Schuld geben. Mr Tallow versucht schon jetzt, die Verantwortung auf dich abzuwälzen.«
    Nathanael sagte nichts. Miss Whitwell betrachtete ihn eine Weile schweigend, dann wandte sie sich ab und blickte über den Fluss, auf dem unter großem Trara eine Flotte kleiner Schiffe Richtung Küste vorbeizog. Zum Teil waren es Panzerschiffe mit metallverkleidetem Rumpf für den Einsatz in abgelegenen Kolonien, zum Teil eigens für europäische Gewässer entworfene kleinere Patrouillenboote; alle jedoch hatten sämtliche Segel und jede Menge bunte Flaggen gehisst. Die Menge jubelte ihnen vom Ufer aus zu, Luftschlangen zischten über die Köpfe hinweg und regneten aufs Wasser nieder.
    Mittlerweile war Mr Rupert Devereaux seit fast zwanzig Jahren Premierminister. Er war ein zweitklassiger Zauberer, aber ein erstklassiger Politiker, der sich nur deshalb so lange behauptet hatte, weil er seine Kollegen gegeneinander ausspielte. Es hatte mehrere Versuche gegeben, ihn zu stürzen, aber seinem leistungsstarken Spitzelnetzwerk war es gelungen, die Verschwörer so gut wie jedes Mal auffliegen zu lassen, bevor sie zuschlagen konnten.
    Da Mr Devereaux von Anfang an begriffen hatte, dass seine Machtposition, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, darauf beruhte, dass er zu seinem Kabinett eine hochmütige Distanz wahrte, hatte er seine Residenz in Richmond angesiedelt, etwa fünfzehn Kilometer vom Zentrum der Hauptstadt entfernt. Dort wurden die wichtigsten Minister wöchentlich hinbestellt, um sich mit ihm zu beraten, ansonsten sorgten übernatürliche Boten für einen regen Austausch von Anweisungen und Berichten. Auf diese Weise war der Premierminister stets auf dem neuesten Stand. Unterdessen konnte er seinem Hang zum Luxusleben frönen, eine Neigung, der die Abgeschiedenheit seines Anwesens entgegenkam. Zusätzlich zu seinen anderen Vorlieben hatte Mr Devereaux seine Leidenschaft fürs Theater entdeckt. Seit einigen Jahren pflegte er nun schon Umgang mit Quentin Makepeace, dem führenden Dramatiker seiner Zeit. Makepeace war ein gebildeter Mann von unermüdlicher Schaffensfreude, der den Premierminister regelmäßig in Richmond besuchte und für ihn ganz allein Soloauftritte gab.
    Je älter und gesetzter er wurde, desto seltener verließ Mr Devereaux Richmond. Kam es doch einmal vor – etwa weil er Truppen, die auf den Kontinent verlegt wurden, verabschieden musste oder eine Theaterpremiere besuchen wollte –, wurde er stets von einer Leibgarde Zauberer der Neunten Stufe begleitet sowie einem Bataillon Horla auf der zweiten Ebene. Sein Sicherheitsbedürfnis war seit der Lovelace-Verschwörung, der er beinahe zum Opfer gefallen wäre, noch ausgeprägter geworden. Sein Verfolgungswahn gedieh wie Unkraut auf dem Mist und überwucherte alles und jeden, der ihm untergeben war. Kein Minister konnte sich seines Postens völlig sicher sein – ja, nicht einmal seines Lebens.
    Die Schotterstraße führte durch eine Reihe von Dörfern, die sich an Mr Devereaux’ Freigebigkeit gesundgestoßen hatten, bevor sie im eigentlichen Richmond endete, einer Gruppe gepflegter Landsitze rings um einen großen, mit Eichen und Kastanien bestandenen Dorfanger. Auf einer Seite wurde der Platz von einer hohen Ziegelmauer mit einem schmiedeeisernen Tor begrenzt, das mit den üblichen magischen Sicherheitsvorkehrungen versehen war. Dahinter führte eine kurze, von Taxushecken gesäumte Auffahrt in den mit roten Ziegeln gepflasterten Hof von Richmond House.
    Die Limousine kam mit surrendem Motor vor der Eingangstreppe zum Stehen, worauf sogleich vier Lakaien in scharlachroter Livree herbeieilten. Obwohl es noch helllichter Tag war, hatte man die Laternen über dem Portal und in manchen der hohen Fenster angezündet. Von fern hörte man die einschmeichelnden, schwermütigen Klänge eines Streichquartetts.
    Miss Whitwell gab nicht sofort das Zeichen, den Wagenschlag zu

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