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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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hatte ganz den Anschein, als wäre meine Rechnung aufgegangen. Gleich durfte ich mich davonmachen, den Jungen herbeirufen und mich darauf freuen, entlassen zu werden.
    Ich trat noch näher und bückte mich, um unter den Steintorso zu spähen.
    Blitzschnell schoss eine riesige Hand vor und packte mich an meinem zottigen Ziegenbein. Sie hatte drei Finger und einen Daumen, war von blaugrauer Färbung und hart und kalt wie Stein. Sie war geädert wie ein Stück Marmor, aber die Adern pulsierten, und sie zerquetschte meine Substanz wie ein Schraubstock. Der Minotaurus brüllte vor Schmerz auf. Ich musste mich dringend verwandeln, meine Substanz dem Griff entwinden, aber mir drehte sich alles… und ich brachte die nötige Konzentration nicht auf! Der Unbekannte verströmte eine schreckliche Kälte, die sich wie ein Leichentuch um mich legte. Ich spürte meine Lebensgeister schwinden, alle Kraft aus mir herausrinnen wie Blut aus einer tiefen Wunde.
    Der Minotaurus wankte und wurde schlaff wie eine Stoffpuppe. Mich umfing die eisige Einsamkeit des Todes.
    Da spannte sich das steinerne Handgelenk plötzlich und der Griff der Pranke lockerte sich. Der reglose Minotaurus flog in hohem Bogen durch die Luft und prallte unsanft gegen die nächstbeste Wand. Ich sah Sternchen, dann krachte ich Huf über Horn auf den Steinfußboden, wo ich verdattert und benommen liegen blieb. Ich hörte es scharren, als würde der Torso weggewälzt – ich blieb liegen. Ich spürte, wie der Boden erbebte, als hätte jemand den Torso ärgerlich weggeworfen – ich blieb liegen. Ich hörte erst ein, dann noch ein dumpfes Dröhnen wie von großen Steinfüßen, die sich hinstellten – ich blieb immer noch liegen. Unterdessen ließ die scheußliche, beißende Kälte langsam nach und meine Lebensgeister regten sich wieder. Und als sich die Füße jetzt entschlossen in Bewegung setzten und ich spürte, wie mich jemand mordlüstern fixierte, kehrte meine Kraft so weit zurück, dass ich mich schließlich doch noch aufraffte.
    Ich schlug die Augen auf und sah über mir einen hohen Schatten aufragen. Mit einer qualvollen Willensanstrengung verwandelte sich der Minotaurus wieder in die Katze. Als sich der Riesenfuß herabsenkte, machte die Katze einen gewaltigen Satz und brachte sich mit gesträubtem Nackenfell und einem Schwanz wie eine Klobürste in Sicherheit, maunzte laut auf und vollführte sogleich den nächsten Satz. Diesmal drehte sie sich noch im Flug um und konnte ihren Gegner endlich ungehindert betrachten.
    Schon sammelten sich die schwarzen Fetzen wie Quecksilberkügelchen wieder zu der Wolke, die das Geschöpf dem Blick entzog. Aber noch war sie nicht dicht genug, und ich konnte im Mondlicht eine Silhouette erkennen, die meinem Sprung mit einer raschen Wendung des Kopfes folgte.
    Auf den ersten Blick schien es, als sei eins der Standbilder lebendig geworden, denn es war eine hünenhafte, menschenähnliche, etwa drei Meter große Gestalt. Zwei Arme, zwei Beine, ein ungeschlachter Rumpf und obendrauf ein vergleichsweise kleiner, runder Kopf.
    Das Wesen war nur auf der ersten Ebene sichtbar, auf allen anderen herrschte undurchdringliche Finsternis.
    Die Katze landete auf dem schuppigen Kopf von Sobek, dem Krokodilgott, und blieb dort trotzig fauchend hocken. Die Gestalt strahlte eine feindliche Fremdheit aus, bei ihrem bloßen Anblick wurde mir flau und schwindelig.
    Sie stapfte verblüffend flink auf mich zu. Als sie an den Fenstern vorbeikam, huschte ein Lichtschein über ihr Gesicht, wonach sich jeder Vergleich mit den umstehenden Skulpturen erübrigte. Diese waren ausnahmslos Erzeugnisse meisterhafter Bildhauerkunst, denn auf diesem Gebiet waren die Ägypter richtig klasse, wie übrigens auch im Tiefbau und was das Thema von oben verordnete Staatsreligion angeht. Aber von der Größe mal abgesehen, fiel einem bei dieser Kreatur als Erstes auf, wie primitiv und kunstlos sie gearbeitet war. Die Oberfläche war voller Beulen, Risse und Dellen, als handelte es sich lediglich um einen groben Entwurf. Das Wesen hatte weder Ohren noch Haare. Dort wo man Augen erwartet hätte, waren nur zwei runde Löcher, als hätte jemand das Ende eines überdimensionalen Bleistifts in den Schädel gedrückt. Auch die Nase fehlte, und der Mund war einfach nur ein langer Spalt, der ein wenig aufklaffte, wodurch das ganze Gesicht einen dumpfen, gefräßigen Ausdruck bekam, der an einen Haifisch erinnerte. Und mitten auf der Stirn prangte ein ovales Etwas, das ich schon

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