Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
Nathanael, was ist denn mit dem passiert?
Ich war nicht minder baff. Auf dem Karusselldach, etwa zwanzig Meter vor und ebenso viele unter uns, stand Quentin Makepeace. Bei unserer letzten Begegnung hatte Nouda noch mit seiner neuen Gestalt und ihren begrenzten Möglichkeiten gerungen, inzwischen schien er ihrer Herr geworden zu sein. Er stand breitbeinig da, hatte die Arme lässig verschränkt und reckte trotzig das Kinn – die typische Haltung eines siegreichen Feldherrn.
Außerdem hatte er Hörner.
Drei schwarze Hörner ragten ihm krumm und schief aus der Stirn, ein langes und zwei kurze, aber das war noch nicht alles. Eine Art Rückenkamm hatte ihm das Hemd zerrissen und aus seinem linken Arm spross ein graugrüner Ableger. Sein Gesicht war wächsern, fleckig und stark geschwollen, seine Augen glichen lebendigen Flammen.
Nanu, dachte ich.
Seine Substanz quillt raus. Nathanaels Angewohnheit, stets das Offensichtliche auszusprechen, machte ihn so entzückend menschlich.
Dann schrumpften Hörner, Rückenkamm und Armableger wie durch äußerste Willensanstrengung wieder ein, doch schon im nächsten Augenblick erbebte Nouda heftig, und sie sprossen wieder hervor, wucherten sogar noch weiter. Aus dem offenen Mund brüllte die Donnerstimme: »Uaah, wie scheußlich! Ich spüre das alte Brennen wieder! Faquarl! Wo ist Faquarl?!«
Dem geht es aber gar nicht gut, konstatierte Nathanael. Wahrscheinlich ist er einfach zu übermächtig. Sein Wirtskörper platzt aus allen Nähten und seine Substanz liegt blank.
Seit seiner Ankunft hat er sich hemmungslos mit Menschen voll gestopft, dadurch hat er an Substanz offenbar noch zugenommen. Ich ließ den Blick über die verängstigten Gewöhnlichen schweifen. Und es sieht mir ganz so aus, als sei er immer noch nicht satt.
Damit ist jetzt Schluss. Nathanaels Selbstekel und Unzufriedenheit hatten sich in kaltblütigen, mitleidlosen Zorn verwandelt, er war ganz bei der Sache. Was meinst du? Können wir ihn von hier aus erledigen?
Ja, aber du musst gut zielen. Wir haben nur die eine Chance. Vermassel sie nicht und verpass ihm gleich ein dickes Ding.
Wer von uns beiden spricht jetzt das Offensichtliche aus?
Wir hockten immer noch geduckt hinter dem verschnörkelten Eisengeländer. Als sich Nathanael anschickte aufzustehen, wirkte ich vorsichtshalber einen Schild um uns. Wenn unser Vorhaben gelang, würden sich die anderen Zwitterwesen garantiert auf uns stürzen. Ich ging noch mal die Möglichkeiten durch. Erst ein großer Sprung, entweder in die Palme oder rückwärts aufs Dach der Sushi-Bar, dann runter auf den Boden und anschließend…
Das musste als Plan genügen.
Nathanael stand auf. Wir richteten den Stab auf Nouda, sprachen die Formel…
Eine gewaltige Explosion, wie erwartet.
Bloß traf sie nicht Nouda, sondern uns. Mein Schild hielt ihr gerade eben stand. Trotzdem fegte es uns übers Geländer und in einem Scherbenregen durch die Glaswand, ehe wir die Vortreppe hinunter und in die Blumenrabatten rollten. Der Schild dämpfte den Sturz nur zum Teil. Der Stab schlitterte über den Fußweg.
Durch die Wucht des Aufpralls entmischte sich unser vereintes Bewusstsein, einen Augenblick lang wurden wir jeder für sich durchgeschüttelt. Während wir noch am Boden lagen und zweistimmig ächzten, kam Hopkins durch das gezackte Loch in der Glaswand über uns geschwebt, landete auf der Treppe und schlenderte zu Fuß heran.
»Ja, wen haben wir denn da? Mr Mandrake?«, fragte Faquarl leutselig. »Sie sind aber ein hartnäckiges Bürschchen. Wenn Sie auch nur einen Funken Grips hätten, wären Sie längst über alle Berge. Was ist denn in Sie gefahren?«
Wenn der wüsste. Wir blinzelten zu ihm hoch. Allmählich wurde die Sicht wieder klar, sammelten sich unsere Gedanken.
»Unser Fürst Nouda«, fuhr Faquarl fort, »ist momentan ein wenig reizbar, man muss Rücksicht auf ihn nehmen. Es ist seiner Laune alles andere als zuträglich, wenn Sie ihn mit Ihrem Spielzeug belästigen.«
»Belästigen?«, wiederholte Nathanael heiser. »Ich bring den Kerl um.«
»Ach ja?« Es klang gelangweilt und belustigt. »Sie machen sich offenbar keinen Begriff, wie mächtig er ist. Er giert nach Kraft, saugt sie auf wie ein Schwamm. Haben Sie gesehen, wie er schon gewachsen ist? Er würde Ihren Blitzstrahl einfach runterschlucken. Deshalb hätte ich Sie auch beinahe gewähren lassen, aber ich habe die ständigen Unterbrechungen satt, darum nehme ich den Stab jetzt an mich.« Er hob die Hand.
Weitere Kostenlose Bücher