Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
Bibliothek lag an einem ruhigen Platz, umfasste fünf verwinkelte Stockwerke und nahm die Breite von drei Stadthäusern ein. Obwohl sie Gewöhnlichen nicht zugänglich war, enthielt sie keineswegs vorwiegend Schriften über Zauberei, sondern vielmehr Werke, die nach Einschätzung der Behörden zu gefährlich oder umstürzlerisch waren, um in falsche Hände zu geraten. Dazu gehörten Abhandlungen über Geschichte, Mathematik, Astronomie und andere altmodische Wissensgebiete, ebenso die seit Gladstone verbotene Belletristik. Kaum ein bedeutender Zauberer hatte die Muße oder das Interesse, hier vorbeizukommen, aber Mr Button, vor dessen Neugier kaum ein historisches Manuskript sicher war, schickte Kitty regelmäßig zum Stöbern hin.
Wie gewöhnlich waren die großen Räume nahezu verwaist. In den vom Marmortreppenhaus abgehenden Lesesälen hockten ein paar ältere Herren im pfirsichfarbenen Nachmittagslicht. Einer hielt lose eine Zeitung in der Hand, ein anderer war offenkundig eingeschlafen. Weiter hinten fegte eine junge Frau den Boden. Scht, scht, scht machte der Besen und kleine Staubwolken schwebten durch die Bücherregale in die benachbarten Gänge.
Kitty hatte eine Liste mit Titeln dabei, die sie für Mr Button ausleihen sollte, aber sie hatte auch selbst einiges zu erledigen. Nachdem sie nun schon zwei Jahre lang regelmäßig herkam, kannte sie sich ziemlich gut aus und stand schon bald in einem abgelegenen Gang im zweiten Stock vor der Abteilung Dämonologie.
Necho, Rekhyt… Von alten Sprachen hatte Kitty keine Ahnung. Die Namen konnten praktisch zu jeder Kultur gehören. Babylon? Assyrien? Einer Eingebung folgend, versuchte sie es mit Ägypten. Sie schlug in etlichen allgemeinen Dämonenlexika nach, die sämtlich in rissiges schwarzes Leder gebunden und deren vergilbte Seiten dicht an dicht mit kaum lesbaren Spalten bedruckt waren. Nach einer halben Stunde hatte sie immer noch nichts entdeckt. Sie zog das Bibliotheksverzeichnis zurate, das sie auf einen abgelegenen Gang am Fenster verwies. Scharlachrote Kissen lagen einladend auf der breiten Fensterbank. Kitty wuchtete ein paar auf Ägypten beschränkte Nachschlagewerke aus dem Regal und fing an zu blättern.
In einem stattlichen Almanach wurde sie fast auf Anhieb fündig.
Rekhyt: engl. Kiebitz. Dieser Vogel symbolisierte im alten Ägypten die Sklaverei, er erscheint oft in der Grabkunst und in Hieroglyphen geschrieben auf Papyri von Zauberern. Dämonen dieses Beinamens
treten im Alten, Mittleren und Neuen Reich auf.
»Dämonen.« Im Plural. Das war bitter. Aber immerhin hatte sie jetzt den Zeitraum eingegrenzt. Bartimäus hatte also zumindest zeitweise unter dem Namen Rekhyt in Ägypten gedient. Kitty rief sich den Dschinn noch einmal vor Augen: dunkelhäutig, schlank, mit einem einfachen Lendenschurz bekleidet. Soweit sich Kitty mit den alten Ägyptern auskannte, war das immerhin eine Erfolg versprechende Spur.
Sie verbrachte eine volle Stunde in ihrem Schlupfwinkel und blätterte zufrieden in den verstaubten Wälzern. Mit manchen konnte sie nichts anfangen, denn sie waren in fremden Sprachen abgefasst oder in derart verzwickten Bandwurmsätzen, dass sie nicht mehr folgen konnte. Die übrigen waren abschreckend trocken. Sie enthielten Verzeichnisse von Pharaonen, Beamten und den Kriegerpriestern des Re, Auflistungen damals gebräuchlicher Beschwörungen und unbedeutender Dämonen mit profanen Aufträgen. Es war entmutigend. Nicht nur einmal wäre Kitty beinahe eingedöst. Ferne Polizeisirenen schreckten sie wieder auf, Rufe und Gesang aus einer nahen Straße und einmal sogar ein älterer Zauberer, der angeschlurft kam und sich im Gehen geräuschvoll die Nase putzte.
Die Herbstsonne stand inzwischen mit dem Fenster auf gleicher Höhe, ihre goldenen Strahlen wärmten die Sitzbank. Kitty sah auf die Uhr. Viertel nach vier! Bald schloss die Bibliothek und sie hatte die Bücher für Mr Button noch nicht zusammengesucht, dabei begann in drei Stunden ihre Schicht. Es war ein wichtiger Abend und George Fox vom »Frosch« legte großen Wert auf Pünktlichkeit. Kitty zog sich einen letzten Band heran und schlug ihn auf. Noch fünf Minuten, dann…
Sie blinzelte. Da! Eine acht Seiten lange Liste, ein alphabetisches Verzeichnis ausgewählter Dämonen. Also los! Kitty überflog mit geübtem Blick die Spalten: Paimose, Pairi, Penrenutet, Ramses… Rekhyt! Gleich drei Mal.
Rekhyt (I): Afrit. Diener des Snofru (4. Dynastie) und anderer Herrscher, von
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