Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
Mandrake sie beinahe nicht erkannt. Sie war kleiner, als er sie in Erinnerung hatte, ihre Haare waren länger und wurden schon grau. Dann sprang ihm plötzlich etwas ins Auge, was er nur zu gut kannte: die Tasche, in der sie ihr Handwerkszeug aufbewahrte – alt, abgewetzt, eindeutig dieselbe! Dieselbe Tasche! Er schüttelte erstaunt den Kopf. Sie brauchte nur ein Wort zu sagen, und er würde ihr eine neue kaufen, ja, nicht nur eine – so viele, wie sie wollte!
Er blieb im Auto sitzen, bis sie fast auf seiner Höhe war, und wusste bis zuletzt nicht, ob er sich überwinden könnte auszusteigen. Sie stapfte durch die matschigen Blätter, machte einen Bogen um die größeren Pfützen und hatte es ziemlich eilig, weil es so feucht und kalt war. Gleich war sie an ihm vorbei…
Er gab sich einen Ruck, öffnete die Autotür zur Straße, ging um den Wagen herum und vertrat ihr den Weg.
»Miss Lutyens!«
Sie erschrak und taxierte ihn und den teuren schwarzen Wagen hinter ihm misstrauisch. Sie machte noch zwei unsichere Schritte, dann blieb sie stehen, eine Hand hielt immer noch den Schal zusammen, in der anderen hatte sie die Tasche. Sie sprach leise, man hörte, dass sie Angst hatte.
»Ja bitte?«
»Hätten Sie wohl einen Augenblick Zeit?« Er hatte sich für einen ziemlich eleganten Anzug entschieden. Direkt nötig war das nicht gewesen, aber er wollte nun mal einen möglichst guten Eindruck machen. Als sie einander zuletzt gesehen hatten, war er ein gedemütigter kleiner Junge gewesen.
»Was wollen Sie?«
Er lächelte. Sie ging sofort in die Defensive. Für wen oder was sie ihn wohl hielt? Vielleicht für einen Finanzbeamten, der sich nach ihrer Steuererklärung erkundigen wollte. »Nur ein bisschen plaudern«, erwiderte er. »Ich habe Sie wiedererkannt und mich gefragt, ob… ob Sie mich wohl auch noch kennen.«
Ihr Gesicht war blass, ihr Blick argwöhnisch. »Tut mir Leid«, sagte sie, »aber ich… na so was, Nathanael…« Sie stockte. »Mit dem Namen darf man dich bestimmt nicht mehr anreden.«
Er winkte lässig ab. »Den vergessen wir lieber.«
»Ja.« Sie musterte ihn von oben bis unten, seinen Anzug, seine Schuhe, seinen Silberring, aber vor allem sein Gesicht. Die Inspektion dauerte länger und war gründlicher, als er erwartet hatte. Zu seiner Verwunderung lächelte sie kein einziges Mal und ließ auch sonst keinerlei Freude erkennen, aber vielleicht kam das Wiedersehen einfach ein bisschen zu plötzlich.
Er räusperte sich. »Ich bin hier vorbeigefahren und habe Sie gesehen und… na ja, es ist wirklich schon eine ganze Weile her.«
Sie nickte bedächtig. »Allerdings.«
»Ich dachte, vielleicht… Wie geht es Ihnen, Miss Lutyens? Wie kommen Sie zurecht?«
»Mir geht es gut«, sagte sie, und dann fast schneidend: »Hast du einen anderen Namen, mit dem ich dich anreden kann?«
Er nestelte an seinem Ärmel herum und lächelte unbestimmt. »Ich heiße jetzt John Mandrake. Vielleicht haben Sie schon von mir gehört.«
Sie nickte wieder. »Ja, natürlich. Dann geht es dir… Ihnen… also gut.«
»Ich bin jetzt Informationsminister. Schon seit zwei Jahren. Das kam ziemlich überraschend, weil ich ja noch recht jung war, aber Mr Devereaux hat beschlossen, es mit mir zu versuchen, und«, er zuckte die Achseln, »so ist es jetzt halt.«
Auf diese Erklärung hin hätte er sich mehr als ein knappes Nicken erwartet, aber Miss Lutyens reagierte keineswegs überschwänglich. Leicht verärgert fuhr er fort: »Ich dachte, Sie freuen sich vielleicht, wenn Sie hören, dass alles so gut ausgegangen ist, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Seit diesem… bedauerlichen Vorfall damals.«
Im selben Augenblick ärgerte er sich, dass er sich nicht anders ausgedrückt hatte und in die verharmlosende, floskelhafte Sprache verfallen war, die er sich als Minister angewöhnt hatte, statt offen zu sagen, worauf er hinauswollte. Vielleicht war sie deshalb so gleichgültig und abweisend. Er versuchte es noch einmal. »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich Ihnen sehr dankbar war. Damals. Und heute immer noch.«
Sie schüttelte den Kopf. »Dankbar? Wofür denn? Ich habe doch gar nichts gemacht.«
»Na ja, damals, als Lovelace über mich hergefallen ist. Als er mich verprügelt hat und Sie ihn davon abhalten wollten. Ich bin nie dazu gekommen, mich zu…«
»Wie Sie schon sagten, es war bedauerlich und ist ewig her.« Sie pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Sie sind jetzt also Informationsminister? Sie sind
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