Bassus (German Edition)
vorbei. Tony stand auf und spähte vorsichtig durch die Tür. Er konnte gerade noch die Silhouetten zweier Reitersoldaten ausmachen, die in einem Gästeschlafzimmer verschwanden.
Waren sie von der Ala Noricorum?
Sicher waren sie Kundschafter, die unterwegs waren, genau wie Bassus und Donatus früher.
Beim Frühstück erkundigte Tony sich nach den Reitern. Sie waren tatsächlich von der Ala Noricorum gewesen, aber bereits wieder abgereist. Mehr erfuhr er nicht.
Er sah nach Aurelius. Dessen Fieber war gesunken, und er wollte unbedingt aufstehen.
„Es ist zu früh, Aurelius.“
„Aber ich bin doch wieder gesund.“
„Noch nicht ganz. Gegen Abend wird das Fieber zurückkommen.“
„Das glaube ich nicht.“
„Was wollen wir wetten?“
„Dann eben nicht!“ Aurelius schmollte.
Tony machte sich auf den Weg zum Unterrichtszimmer. Diesmal wollte er nicht gehen, ohne sich von Flavia zu verabschieden. Durch die angelehnte Tür hörte er ihre Stimme und die von Herclides. Abrupt drehte er sich um und lief weg.
Warum klopfte ihm das Herz bis zum Hals?
Und wie kam es, dass er plötzlich im Pferdestall stand? Teres fraß zufrieden sein Heu. Er schien sich außerdem gut mit dem Pferd in der Box nebenan zu verstehen. Genau wie Teres wirkte es kräftig und genügsam. Tony sah sich um. An der Wand hingen die Decken dieses Pferdes, und weiter hinten lagen Sattel und Satteltaschen. Gut. Er würde das Pferd heute Nacht mitnehmen.
Jetzt wollte er Marcias Neffen noch nach einigen Gepflogenheiten auf der anderen Seite des Rheins ausfragen. Doch wo, zum Teufel, steckten sie?
Er lief das Gut ab. Harpalos döste neben Ferox in dessen Hütte. Aus Harpalos‘ alter Hütte blickte ein neuer Hund misstrauisch zu den beiden Hunden hinüber. Auf einmal hatte Tony Angst, dass Harpalos heute Nacht nicht mit ihm kommen würde. Schließlich konnte er ihn nicht zwingen. Er ging zur Hütte und kraulte Harpalos und Ferox. Der neue Hund knurrte. Um ihn zu besänftigen, wandte er sich ihm zu.
„Das solltest du besser lassen“, rief ein Sklave, der mit einer Axt in der Hand aufgetaucht war. „Sie beißt.“
„Danke für die Warnung.“
Tony richtete sich vorsichtig auf und ging einige Schritte rückwärts, bis er außer Reichweite der angeketteten Hündin war.
Auf dem Hof hinter dem Pferdestall entdeckte er schließlich Ildiger, den jüngsten der Neffen. Er schleppte eine Holzkiste zu einem der Lagergebäude. Tony half ihm. Die Kiste war ganz schön schwer.
Kaum hatten sie sie abgestellt, fragte er Ildiger: „Sag mal, wie lange lebst du schon auf dieser Seite des Rheins?“
„Seit etwa vier Monaten.“
“Und davor hast du immer in Germania Libera gelebt?“
„Klar.“
„Geht es dort sehr viel anders zu als hier?“
Ildiger lachte. „Das kann man wohl sagen. Dort sieht es so aus, wie es hier ausgesehen hat, bevor die Römer kamen. Keine gepflasterten Straßen, keine Wasserleitungen, keine Häuser mit Fußbodenheizung.“
„Und keine Patrouillen?“
„Jedenfalls nicht durch römische Soldaten.“
„Es ist sicher gefährlich, dort zu reisen?“
Ildiger dachte nach. „So gefährlich, wie viele sich das vorstellen, ist es nicht, denn die Menschen sind sehr gastfreundlich. Man muss nur aufpassen, dass man nicht in eine Stammesfehde hineingerät.“
„Könnte jemand wie ich sich dort problemlos bewegen?“
Ildiger sah ihn jetzt verwundert an. „Nun, einfach so natürlich nicht. Vor allem nicht in diesen Zeiten. Dass es bisher noch niemandem gelungen ist, Audica zur Strecke zu bringen, macht die Leute nervös und misstrauisch.“
„Aber ich bin erst vierzehn Jahre alt, da würde ich doch sicher keinen Argwohn erwecken?“
„Wo denkst du hin? Die Leute würden sich fragen, wie es kommt, dass jemand in deinem Alter allein unterwegs ist. Sie würden vermuten, dass du ein Spion bist, oder, was genau so gefährlich wäre, dass du von deiner Sippe ausgestoßen worden bist, weil du eine Schuld auf dich geladen hast.“
Mist. Er hatte es im Lager Durnomagus nicht gewagt, solche Fragen zu stellen, aus Angst, dass seine Gesprächspartner Verdacht schöpfen würden. Außerdem hatte er irgendwie gehofft, dass das Reisen im „freien“ Germanien einfacher sein würde als im römisch besetzten Teil.
Keine römischen Militärpatrouillen würde zwar weniger Sicherheit bedeuten, aber auch weniger Bevormundung. Aber so wie Ildiger die Verhältnisse schilderte, konnte auch in Germania Libera niemand leben und sich bewegen,
Weitere Kostenlose Bücher