Bassus (German Edition)
wie das blühende Leben aus. Solltest du dich nicht noch etwas hinlegen und auch auf unsere Ärzte warten?“
„Nein. Ich muss nur etwas essen. Danach geht es wieder.“
„Dann komm mit, ich habe seit dem Frühstück auch nichts mehr gegessen.“
Unterwegs fragte er Tony beiläufig: „Hast du Erfahrung in der Pflege von Kranken?“
„Ich habe meine Schwester betreut.“ Er hätte sich am liebsten wieder auf die Zunge gebissen.
„Was hat sie?“
„Eine Krankheit, bei der man allmählich die Kontrolle über seinen Körper verliert.“
Bassus blieb stehen. „Das tut mir leid. Wie alt ist sie?“
„Sie war elf, als sie starb. Jemand hat sie erschlagen.“
„Wer?“
„M… hmh … Sie ist jedenfalls tot.“
Hoffentlich sagte Bassus jetzt nicht, dass das für Melanie sicher besser war, als noch länger zu leiden.
Doch stattdessen fragte er: „Erhielt derjenige, der das getan hat, seine gerechte Strafe?“
„Nein.“
„Das ist nicht in Ordnung.“
Niemand hielt Tony auf, als er durch das Hoftor marschierte und einfach loslief. Jetzt saß er mitten im Wald auf einem Steinbrocken und lauschte dem Gesang der Vögel.
Bassus’ Reaktion hatte ihn überrascht. Aber was, wenn Bassus wüsste, dass Melanie von ihrem eigenen Vater getötet worden war? Würde er dann immer noch sagen, dass das nicht in Ordnung war? Wahrscheinlich nicht. Denn Väter hatten in der Römerzeit nun einmal das Recht, ihre Kinder zu töten. Der Staat mischte sich da nicht ein.
Er wusste das von Herklides. Aber Herklides hatte auch hinzugefügt, dass dies nur sehr selten geschah, denn im Allgemeinen liebten römische Väter ihre Kinder.
Trotzdem. Prinzipiell war das Töten von Kindern bei den Römern Privatsache.
Und in so einer Welt konnte Tony nicht leben.
Aber er hatte keine Wahl.
Das Medaillon hatte nicht funktioniert.
Er war gefangen.
Resigniert vergrub er sein Gesicht in den Armen.
Die Bilder der vergangenen Nacht stiegen in ihm auf. Das Schlachten und die Rolle, die er dabei gespielt hatte. Sein Verhalten entsetzte ihn. Es war, als ob eine böse Macht von ihm Besitz ergriffen hätte. Natürlich freute er sich, dass Flavia, Aurelius und die anderen Bewohner des Guts gerettet waren. Aber was da während des Kampfes mit ihm vorgegangen war, beunruhigte ihn zutiefst.
Warum?
Ihm wurde kalt ums Herz. Denn plötzlich kannte er die Antwort.
Sein Verhalten erinnerte ihn an das von Roland!
War er am Ende wie er? Hatte er mit seinen Genen auch seine Gewalttätigkeit geerbt? Neigte auch er dazu, genau wie Roland, auszurasten und Leben zu zerstören?
Er stöhnte auf. Das konnte, das durfte nicht sein! Und es stimmte auch nicht. Im Gegensatz zu Roland würde er Kleineren und Schwächeren nie etwas tun. Im Gegenteil. Er würde sich für sie in Stücke reißen lassen.
Aber sich deswegen in einen Blutrausch hineinsteigern?
Er krümmte sich zusammen. Vielleicht sollte er noch tiefer in diesen Wald laufen, sich verirren und verhungern und die Sache so lösen?
Allmählich beruhigte er sich wieder.
Dieser Ort war so friedlich.
Er richtete sich auf. Nein, das war kein Weg. Nie im Leben würde er hier verhungern oder verdursten. Um das Gut herum erstreckten sich riesige Obstplantagen. Und im Herbst würde es Beeren und Pilze geben. Außerdem konnte er jagen.
Im Winter würde es natürlich hart werden. Aber auch das würde er schon irgendwie überleben.
Vielleicht war das ja die Lösung: Er blieb hier und wurde so eine Art Waldschrat.
Andererseits: Wenn ein Leben im Wald ein Ausweg war, konnte er damit auch noch ein wenig warten. Diese Möglichkeit lief ihm schließlich nicht weg. Zuerst würde er noch einmal versuchen, mehr über das Medaillon zu erfahren. Vielleicht genügte es nicht, wenn er einfach nur in Lebensgefahr geriet. Vielleicht musste er weitere Kriterien erfüllen, damit es ihn wieder zurückbrachte.
Wen konnte er fragen?
Natürlich Bassus. Schließlich war er derjenige, dem das Medaillon eigentlich gehörte. Vielleicht hatte ihm der Druide ja einen Hinweis gegeben.
Auf dem Hof begegnete Tony vier Männern, die Holzkisten schleppten. Zwei von ihnen waren bewaffnete Reitersoldaten. Die beiden anderen waren unbewaffnet. Der eine war etwa Mitte Dreißig, ein großer, schlanker Mann mit kohlrabenschwarzen Haaren, außergewöhnlich heller Haut und seltsamen Augen. Der andere war älter und untersetzt, seine Haare waren weiß.
Die Kisten schienen schwer zu sein. Auf jede war ein Stab gemalt, um den sich
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