Bassus (German Edition)
Morvran und Wackeron einander ablösten, wich Harpalos nie von Tonys Seite. Er durfte nachts auch bei ihm schlafen.
„Harpalos atmet, wärmt und bewegt sich. Tony wird spüren, dass er nicht mehr neben einem Toten liegt“, erklärte Wackeron.
Bassus verbrachte jeden Abend Stunden in Tonys Zimmer und betete. Auch morgens, bevor er zum Appell ging, sah er nach ihm.
Tony trieb noch immer unter der Oberfläche des kalten, dunklen Meeres. Auch das Irrlicht war noch da, aber es flackerte nicht mehr, sondern leuchtete ebenmäßig. Es wurde stärker.
Tony wollte das Licht nicht. Es sollte ihn in Ruhe lassen. Aber das Licht kümmerte sich nicht darum.
Er wurde wacher.
Schließlich vernahm er die Stimme.
„Geh!“
Er reagierte nicht.
„Geh!“, sagte die Stimme wieder.
Er ahnte, dass die Stimme, genau wie das Licht, nicht mehr aufhören würde.
„Ich kann nicht“, antwortete er in Gedanken.
„Doch, du kannst.“
Er wurde ärgerlich. Um der Stimme zu beweisen, dass sie etwas Unmögliches verlangte, versuchte er tatsächlich zu gehen.
Das Meer war wie eine zähe Masse. Er brauchte Stunden, um seinen Fuß einen Zentimeter nach vorne zu setzen. Und nach weiteren Stunden hatte er den anderen Fuß daneben gestellt.
Würde es noch einmal funktionieren? Er bewegte wieder den ersten Fuß, danach den zweiten.
Diesmal ging es besser.
Er lief weiter. Wie kam es, dass er atmen konnte? Unter der Wasseroberfläche?
Jetzt war die Stimme direkt neben ihm.
„Öffne die Augen!“, befahl sie.
Doch er wollte nicht. Er hatte so viel Schreckliches gesehen.
„Öffne die Augen!“ Die Stimme war unerbittlich.
Langsam hob er seine Lider. Er war bereit, vor Grauen sofort losschreien. Aber das war nicht nötig.
Da war nichts Schreckliches.
Er lief auf dem Wasser! Der Mond leuchtete so hell, dass er am Ufer eine Landschaft erkennen konnte. Tony drehte den Kopf zur Seite, dorthin, wo die Stimme herkam. Neben ihm schritt ein Wesen in einem langen silberweißen Gewand. Das Gesicht konnte Tony nicht sehen; es leuchtete zu sehr. Das Wesen strahlte eine große Ruhe und Zuversicht aus. Und obwohl es bedeutend größer war als er, glaubte er für einen Moment, Melanie zu sehen.
„Lass los, Tony!“, sagte das Wesen.
Loslassen? Das Wesen und er hielten sich doch gar nicht an den Händen?
Dann verstand er. Er sollte das Schreckliche loslassen.
Zurückkehren ins Leben.
Wollte er das?
Er wandte sich dem Ufer zu und lief plötzlich leichtfüßig über die Wellen. Aber auch nachdem er wieder festes Land unter den Füßen hatte, fühlte er sich leicht und spürte den Boden kaum.
Er kam an einem nächtlichen Dorf vorbei und lief durch Felder und Wiesen, auf denen Pferde grasten.
Eine hohe Mauer mit einem Tor tauchte vor ihm auf. Die bewaffneten Wächter schienen ihn jedoch nicht zu bemerken.
Er ging hindurch.
Drinnen erstreckten sich Reihen um Reihen von einstöckigen Gebäuden, dazwischen schurgerade Straßen. Die Anlage war riesig. Und weiter hinten, im Zentrum, entdeckte er höhere, mehrstöckige Häuser. Alles war sehr exakt und rechtwinklig angelegt.
Er näherte sich einem der Gebäude. Mühelos schwebte er durch die dämmrigen Gänge und betrat ein Zimmer. Es war heimelig. Öllampen brannten vor Götterstatuen. Und davor kniete ein Soldat.
Er wusste, dass er den Mann kannte.
Dann sah er auf einem Bett einen bleichen Jungen. Neben ihm lag ein schwarzer Hund.
VIII
Es war früh am Morgen. Draußen war es noch dunkel. Bassus saß an Tonys Bett und beobachtete ihn. An der Art, wie er sich regte, glaubte er eine Veränderung wahrzunehmen. Er beugte sich vor. Gebannt betrachtete er die gequälten Gesichtszüge des bis auf die Knochen abgemagerten Jungen. Plötzlich schlug Tony die Augen auf.
„Kannst du mich sehen?“, fragte Bassus ihn.
Langsam nickte Tony.
„Weißt du, wer ich bin?“
Tony mühte sich ab.
„Bassus“, hauchte er schließlich.
„Den Göttern sei Dank.“
Tony versteifte sich. Beim Anblick des Entsetzens, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete, krampfte sich Bassus das Herz zusammen.
„Wo bin ich?“, fragte Tony.
„Im Valetudinarium der Ala Noricorum.“
„Und Perpenna?“
„Du wirst ihn nie wieder sehen.“
Die Nachricht schien Tony nicht zu erleichtern.
„Wer hat mich gekauft?“, fragte er stattdessen.
„Niemand. Du bist jetzt ein freier römischer
Weitere Kostenlose Bücher