Bastard
eintausenddreihundert Milliliter betrug und das Herz in fünf ungleich große Fragmente zerplatzt war, die noch an den Klappen zusammenhingen.
Das werde ich gegenüber der Staatsanwaltschaft betonen,
schießt es mir durch den Kopf, weil ich sofort an eine Gerichtsverhandlung denke. Für mich endet alles vor Gericht. Zumindest in meinem Leben als Zivilistin. Ich male mir aus, wie der Staatsanwalt in leidenschaftlichen Worten, die ich nicht benutzen darf, den Geschworenen mitteilt, der Mann habe einen Mohnbagel mit Käse gegessen und dann seinen alten Hund aus dem Tierheim spazieren geführt. Sein Herz sei in Stücke zerrissen worden, so dass beinahe drei Einheiten Blut, oder mehr als ein Drittel der im Körper verfügbaren Blutmenge, innerhalb von Minuten in den Brustraum geflossen seien. Die Autopsie hat zwar nicht verraten, aus welchem Grund der Mann sterben musste, doch die Todesursache ist, zumindest vorläufig, verhältnismäßig einfach zu bestimmen. Ich bin nur halb bei der Sache, als ich sie notiere und währenddessen weiter nachdenke, grüble und Pläne schmiede.
Eine typische Stichwunde links am Rücken.
Das ist eine pathologische Diagnose, die mir nach dem, was ich soeben gesehen habe, beinahe trivial erscheint und mich stutzig machen würde, wenn ich sie irgendwo läse. Zieht man in Betracht, was tatsächlich dahintersteckt – nämlich die massiven Organschäden, die an eine Explosion denken lassen, und dass es sich um einen grausamen und vorsätzlichen Mord handelt –, klingt sie vage, ja beinahe keck und frech und wie ein schlechter Scherz. Ich stelle mir den Saum des langen, rasch vorbeirauschenden Mantels vor. Was mag wohl wenige Sekunden zuvor geschehen sein, als der Träger dieses Mantels dem Opfer die Klinge in den Rücken stieß? Der Mann hat nur eine körperliche Reaktion wie Schreck und Schmerz verspürt und »Hey …!« gerufen. Im nächsten Moment hat er sich an die Brust gegriffen und ist bäuchlings auf den Kiespfad gestürzt.
Ich male mir aus, wie sich die Person im schwarzen Mantel rasch gebückt, dem Mann die schwarzen Handschuhe von den
Händen gerissen und sich hastig entfernt hat. Vielleicht hatte er die Klinge im Ärmel, in einer zusammengerollten Zeitung oder anderswo versteckt. Jedenfalls halte ich die Person im langen schwarzen Mantel, der heimlich von der Kamera im Kopfhörer des Toten aufgenommen wurde, für den Mörder. Das wiederum stellt mich erneut vor die Frage, wer der Spion war. Hat der Täter die winzige Kamera in den Kopfhörer des Ermordeten eingebaut, um ihn verfolgen zu können? Ich sehe eine Gestalt im langen schwarzen Mantel vor mir, die schnell durch den dunklen Wald geht und sich von hinten dem Opfer nähert, das wegen der Musik aus dem Kopfhörer nichts davon bemerkt. Der Mann wird in den Rücken gestochen und stürzt so plötzlich, dass ihm nicht einmal mehr die Zeit bleibt, sich umzudrehen. Ich überlege, ob er gestorben ist, ohne seinen Mörder zu sehen. Und danach? Hat es sich so abgespielt, wie Lucy meint? Hat der Täter im langen schwarzen Mantel die Videodateien gesichtet und es für überflüssig gehalten, sie von irgendeiner Webcam-Seite zu löschen? Fand er es sogar klüger, sie dort zu belassen?
Es gibt für alles einen Grund , sage ich mir. Das trifft zwar schon von jeher zu, fühlt sich aber nie so an, wenn ich mitten in einem Problem stecke. Die Antworten sind da, und ich werde sie finden. Auch wenn es sicher nicht leicht wird, eine physikalische Erklärung dafür zu ermitteln, wie dem Mann die tödliche Verletzung zugefügt wurde, bin ich sicher, dass der Täter Spuren hinterlassen haben muss. Diese Fußabdrücke habe ich auf Löschpapier festgehalten, und ich werde ihnen bis zu dem Menschen folgen, der diesen Mord auf dem Gewissen hat. Du kommst mir nicht ungeschoren davon , denke ich, als würde ich ein Gespräch mit dem Träger des langen schwarzen Mantels führen. Außerdem hoffe ich, dass du, wer immer du auch sein magst, keine Verbindung zu mir unterhältst. Und dass du niemand bist, dem ich beigebracht
habe, schlau und gründlich zu sein. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Jack Fielding entweder auf der Flucht oder im Gefängnis ist. Einen Moment lang überlege ich sogar, ob er tot sein könnte. Aber ich bin erschöpft und übernächtigt und denke nicht so klar, wie ich sollte. Er kann nicht tot sein. Warum auch? Außerdem habe ich die eingelieferten Leichen im Erdgeschoss ja gesehen, und er war nicht dabei.
Meine anderen
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