Bastard
Herkunft der jeweiligen Probe beschrifte. LUL für linker unterer Lungenflügel. LN für linke Niere. LHK für linke Herzkammer.
Im grellen Schein einer OP-Leuchte und mit Hilfe einer Lupe kann ich die dunklen, silbrigen Pünktchen gerade noch ausmachen, die diesem Mann durch die Einstichstelle im Rücken in den Körper gepresst worden sind. Außerdem sehe ich Fasern und andere Bruchstücke, die ich erst unter dem Mikroskop identifizieren kann. Aber meine Hoffnung wächst. Offenbar handelt es sich um vom Täter unabsichtlich hinterlassene Rückstände, Spuren also, die mir Hinweise auf die Waffe und ihren Benutzer liefern könnten. Ich schalte die Abzugshaube auf die niedrigste Stufe, so dass nur noch ein Luftaustausch stattfindet, und fange vorsichtig zu tupfen an.
Mit dem sterilen Papier berühre ich die Oberflächen des beschädigten Gewebes und die Wundränder und lege die Bogen dann nacheinander in die Haube, wo die sanft zirkulierende Luft die Verdunstung beschleunigen und das Blut trocknen wird, ohne daran haftende Partikel wegzuwehen. Anschließend nehme ich Proben von dem wie gefriergetrocknet aussehenden Gewebe und lagere sie in mit Plastik ausgekleideten Schachteln und kleinen Gläsern mit Formalin. Danach teile ich Anne mit, dass wir viele Fotos brauchen und dass ich andere Kollegen bitten werde, sich die Bilder von den inneren Verletzungen und dem bräunlichen, harten Gewebe anzusehen. Ich werde sie fragen, ob ihnen so etwas schon einmal untergekommen ist. Doch noch während ich das ausspreche, überlege ich, an wen ich mich eigentlich wenden soll. Nicht an Briggs. Ihm etwas zu schicken, würde ich nicht
wagen. Auch ganz bestimmt nicht an Fielding. An überhaupt niemanden, der hier beschäftigt ist. Außer Benton und Lucy fällt mir niemand ein, und deren Einschätzung wäre weder hilfreich noch von Belang. Also bleibt es an mir hängen, ob es mir nun gefällt oder nicht.
»Drehen wir ihn um«, sage ich. Nach der Entnahme der Organe ist sein Körper leicht und kopflastig.
Ich vermesse die Eintrittswunde und beschreibe ihr Aussehen und ihre genaue Lage. Anschließend verfolge ich den Wundkanal durch den Organblock und entdecke jene Stelle, die, wie ich inzwischen überzeugt bin, von einer schmalen Doppelklinge durchstoßen wurde.
»Wenn Sie sich die Wunde genauer anschauen, erkennen Sie deutlich die beiden scharfen Ränder. Die Ecken des Knopflochs wurden durch zwei scharfe Klingen erzeugt«, erkläre ich Anne.
»Aha.« Ihre Augen hinter der Kunststoffbrille blicken skeptisch drein.
»Aber sehen Sie mal hier, wo der Wundkanal ins Herz mündet. Beide Enden der Wunde sind identisch, und zwar sehr scharf.« Ich ziehe die Leuchte näher heran und reiche ihr die Lupe.
»Nicht ganz so wie die Verletzung am Rücken«, merkt sie an.
»Ja. Weil die Klinge nur mit der Spitze eingedrungen ist, als sie den Herzmuskel berührte. Anders als bei den anderen Wunden.« Ich zeige es ihr. »Erst kam die Spitze, gefolgt von der gesamten Klinge. Wie Sie erkennen können, ist das eine Ende der Wunde ein kleines bisschen abgestumpft und gedehnt. Das kann man insbesondere dort gut feststellen, wo sie auf dem Weg durch den Körper die linke Niere durchbohrt hat.«
»Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen.«
»Also nicht das, was man bei einem Butterfly-Messer, einem Filetiermesser oder einem Dolch erwarten würde, die zwei Klingen haben, was heißt, dass beide Seiten vom Griff bis zur Spitze scharf sind. Es erinnert eher an eine speerförmige Waffe – zwar an der Spitze auf beiden Seiten scharf, aber weiter unten nur noch mit einer Klinge versehen. So etwas kenne ich von einigen Kampfmessern, insbesondere von Bowie-Messern oder Bajonetten, deren Spitze auf beiden Seiten geschliffen ist, damit sie beim Zustechen besser eindringt. Wir haben es also mit einer Eintrittswunde von einem halben Zentimeter Länge zu tun. Beide Wundränder sind scharf, der eine ein wenig stumpfer als der andere. Die Breite erweitert sich auf zwei Zentimeter.« Ich messe nach, und Anne trägt die Zahlen in ein Körperdiagramm ein.
»Also hat die Klinge an der Spitze einen Durchmesser von einem halben Zentimeter und an der breitesten Stelle einen von zwei Zentimetern. Das ist ziemlich schmal. Fast wie ein Stilett«, verkünde ich.
»Aber ein Stilett hat zwei Klingen.«
»Vielleicht selbst angefertigt? Eine Klinge, mit der man einen Sprengstoff injiziert?«
»Und zwar, ohne dass es zu thermischen Verletzungen, also zu Verbrennungen,
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