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Bastard

Bastard

Titel: Bastard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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war er sogar zu schwach, um mitzuhelfen. Wenn ich, in Schutzkleidung gehüllt und mit
einer Schutzbrille auf der Nase, an meinem Tisch aus hartem Edelstahl stehe, spüre ich noch immer sein Gewicht.
    Ich fülle die Laboranalysenaufträge aus, die jeder Wissenschaftler abzeichnen muss, und etikettiere einige Gegenstände, damit die Beweiskette nicht unterbrochen wird. Dann stehe ich vom Schreibtisch auf.

16
    Nach einmaligem Klopfen öffne ich die Tür zu Bryce’ Büro.
    Unsere Verbindungstür befindet sich genau gegenüber von der zu meinem Bad. Ich habe mir inzwischen angewöhnt, Letztere einen Spalt weit offen zu lassen. Wenn beide grauen Metalltüren geschlossen sind, passiert es mir sonst nämlich öfter, dass ich sie verwechsle und bei Bryce hereinplatze, obwohl ich eigentlich Kaffee kochen oder mich frischmachen wollte. Oder ich ertappe mich dabei, wie ich versuche, der Toilette und dem Waschbecken Akten zu überreichen. Bryce sitzt am Schreibtisch. Er hat den Stuhl zurückgeschoben und den Mantel ausgezogen, trägt aber noch seine riesige Designersonnenbrille, die übertrieben wuchtig aussieht, als hätte sie jemand mit dunkelbrauner Wachskreide aufgemalt. Er kämpft gerade mit seinen schweren Winterstiefeln von L. L. Bean, die nicht zu seiner ansonsten eleganten Aufmachung passen. Heute hat er einen marineblauen Kaschmirblazer, enge schwarze Jeans, einen schwarzen Rollkragenpullover und einen Gürtel aus gehämmertem Leder mit einer großen silbernen Schnalle in Form eines Drachen an.
    »Ich habe einige Telefongespräche zu führen und möchte nicht gestört werden«, teile ich ihm mit, als wäre ich in den letzten sechs Monaten jeden Tag hier und niemals fort gewesen. »Und danach muss ich weg.«
    »Verrät mir vielleicht mal jemand, was hier los ist? Übrigens, willkommen daheim, Boss.« Als er den Kopf hebt, sind seine Augen hinter der großen dunklen Brille verborgen. »Ich nehme nicht an, dass es sich bei den Zivilfahrzeugen auf dem Parkplatz um eine Überraschungsparty handelt, denn ich habe keine organisiert. Nicht dass ich etwas dagegen hätte
und nicht irgendwann eine veranstalten würde. Doch diese Leute, wer immer sie auch sein mögen, sind nicht auf meinen Wunsch hier. Und als ich einen von ihnen bat, mir gütigerweise eine Erklärung zu geben und bitte seinen Hintern zu bewegen, damit ich mich auf meinen Parkplatz stellen kann, war er, nennen wir es mal, ungehalten .«
    »Der Fall von gestern Vormittag«, setze ich an.
    »Ach, das ist der Grund? Tja, jetzt wundert mich nichts mehr.« Seine Miene erhellt sich, als hätte ich ihm gerade eine gute Nachricht überbracht. »Ich wusste, dass es eine wichtige Sache werden würde, ich wusste es einfach. Aber er ist doch nicht wirklich hier gestorben. Bitte sagen Sie mir, dass es nicht stimmt. Dass Sie keine Hinweise auf etwas derart Schreckliches gefunden haben. Ansonsten werde ich mir nämlich umgehend eine neue Stelle suchen und Ethan mitteilen müssen, dass wir den Bungalow, den wir uns angeschaut haben, doch nicht kaufen können. Sicher sind Sie inzwischen dahintergekommen, was wirklich passiert ist. Sie haben bestimmt nur fünf Minuten dafür gebraucht.«
    Er zieht auch den zweiten Stiefel aus und stellt beide zur Seite. Ich bemerke, dass er sein Haar mit Gel aufgestellt und sich den Bart abrasiert hat, den er bei unserer letzten Begegnung noch trug. Bryce ist nicht sehr groß, zierlich, aber kräftig, und hübsch wie ein blonder Chorknabe, um bei diesem Klischee zu bleiben, weil es nun einmal zutrifft. Mit Bart sieht er aus wie ein Fremder, was vermutlich der Zweck der Übung war. Er wollte sich in einen der starken Männer wie James Brolin verwandeln oder ernst genommen werden wie Wolf Blitzer, alles Helden, die er verehrt. Er ist mein Verwaltungschef und meine zuverlässige rechte Hand, hat allerdings Unmengen von berühmten Phantasiefreunden, von denen er so selbstverständlich spricht, als ob der Umstand, dass er sie auf einem seiner Flachbildfernseher erscheinen lassen oder
auf Festplatte speichern kann, sie so real machen würde wie tatsächliche Nachbarn.
    Obwohl er wirklich gut in seinem Beruf ist und Abschlüsse in Strafrecht und öffentlicher Verwaltung vorweisen kann, wirkt Bryce Clark auf den ersten Blick in diesem Institut so fehl am Platz, als hätte er sich aus einer Promiklatsch-Website hierher verirrt. In den Jahren, die er inzwischen für mich arbeitet, habe ich dies häufig ausgenutzt. Außenstehende, ja sogar hier im Haus

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