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Bastard

Bastard

Titel: Bastard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Abwesenheit nicht in einen Schlangenmenschen verwandelt hat, hat er sich ganz sicher nicht mit der rechten Hand ins linke Ohr geschossen – aber vielleicht lautet so ja die neue Theorie, auf die man sich allgemein geeinigt hat. Um den Winkel zu überprüfen, stecke ich den rechten Zeigefinger in den linken Gehörgang, so gut es geht, und stelle mir vor, er wäre der Lauf einer Glock.
    »So schlimm ist es doch nun auch wieder nicht«, sagt da eine dunkle Stimme. »Oder sind wir schon so weit?«, fügt General John Briggs hinzu.
    Ich blicke zu ihm hoch. Er ragt über mir auf, breitbeinig und die Hände hinter dem Rücken. In seinem gelben Overall wirkt er riesenhaft. Aber er trägt weder Gesichtsschutz noch Handschuhe oder Helm. Sein schroffes, aber anziehendes Gesicht ist schon oft mit dem eines Falken verglichen worden. Es ist mit Bartstoppeln bedeckt. Briggs ist dunkelhaarig und sieht immer aus, als müsste er sich dringend rasieren, ganz gleich, wie oft er es auch tut. Seine Augen sind genauso dunkelgrau wie die Titanhülle meines Institutsgebäudes. Sein schwarzes Haar weist für sein Alter, sechzig, nur sehr wenig graue Strähnen auf.
    »Colonel«, spricht er weiter, kauert sich neben mich und greift nach der Taschenlampe, die ich vorhin benutzt und aufrecht auf den Boden gestellt habe. »Vermutlich fragen Sie sich dasselbe wie ich.« Er schaltet die Taschenlampe ein.
    »Das bezweifle ich sehr«, entgegne ich, während er in Fieldings linkes Ohr leuchtet.
    »Ich frage mich, wo genau er war«, sagt Briggs. »Suchen Sie auch nach mit hoher Geschwindigkeit verspritzten Blutstropfen
oder sonstigen Hinweisen darauf, dass er hier gestanden hat? Aber warum? Hat er sich etwa neben seinen Niedrigtemperatur-Gefrierschrank gestellt und sich einfach die Pistole ins Ohr gesteckt?«
    Ich nehme ihm die Taschenlampe aus der Hand, um sie so an Fieldings Ohr zu halten, wie ich möchte. Hauptsächlich sehe ich dunkles, angetrocknetes, verkrustetes Blut. Doch als ich mich vorbeuge, erkenne ich die kleine schwarze Eintrittswunde. Sie ist länglich und verläuft in einem Winkel. Unter seinem Kopf hat sich eine große, inzwischen ebenfalls angetrocknete Blutlache gesammelt. Sie ist ziemlich tief und wirkt klebrig, da es feucht im Keller ist. Der leicht süßliche und widerwärtige Geruch nach sich zersetzendem Blut steigt mir in die Nase. Außerdem nehme ich Alkohol wahr. Es würde mich nicht wundern, wenn Fielding in letzter Zeit getrunken hätte. Als er sich erschoss oder von jemandem umgebracht wurde, war er sicher nicht ganz zurechnungsfähig. Ich erinnere mich an den großen SUV mit Xenonscheinwerfern, der Benton und mich vor etwa sechzehn Stunden auf unserer Fahrt durch den Schneesturm zum CFC verfolgt hat. Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich bei dem Auto um Fieldings Navigator, dessen vorderes Kennzeichen er entfernt hat, damit wir nicht feststellen konnten, wer hinter uns her war.
    Allerdings hat niemand eine zufriedenstellende Erklärung dafür, warum er sich an Bentons und meine Fersen geheftet hat und wie es ihm gelungen ist, sich in Sekundenschnelle in Luft aufzulösen, als Benton, in der Hoffnung, der Verfolger würde uns überholen, mitten auf der Straße gehalten hat. Offenbar bin ich die Einzige, die der Gedanke nicht loslässt, dass der große SUV mit den Xenonscheinwerfern und Nebelleuchten ganz in der Nähe von Otwahl Technologies verschwunden ist. Das heißt, jemand, der einen Toröffner besaß, den Zugangscode kannte oder dem Wachdienst kein Fremder war, hätte
den Navigator dort verstecken können wie in Batmans Höhle. So habe ich es Benton geschildert, der nicht sehr beeindruckt schien. »Warum kann Jack Fielding bei Otwahl aus und ein gehen?« , habe ich Benton auf der Fahrt hierher gefragt. »Selbst wenn er Kontakt zu Mitarbeitern dort unterhält, gibt ihm das noch lange nicht das Recht, den Firmenparkplatz zu benutzen. Ist es wirklich möglich, dass er einfach schnell abgebogen ist und sicher war, dass die Wachleute, die das Gelände patrouillieren, nichts dagegen haben würden?«
    »Angesichts der vielen weiß gestrichenen Flächen hier«, sagt Briggs zu mir, »müsste doch ein Hinweis darauf zu finden sein, wo der Schuss gefallen ist.«
    Ich mustere Fieldings Hände. Sie sind so kalt wie der Steinboden im Keller. Die Leichenstarre ist voll ausgebildet. Da Fielding sehr muskulös ist, fühlt es sich an, als bewegte ich die Arme einer Marmorstatue. Dabei richte ich die Taschenlampe auf seine

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