Bastard
Kleingeister umtreibt. Ralph Waldo Emerson hatte recht, als er schrieb, der Mensch sei leicht zu erklären und handle nicht immer rational. Es kann durchaus sein, dass es in Fieldings Kopf ausgesehen hat wie in seinem Zuhause. Und dennoch war er noch immer eitel genug, um auf die Körperpflege zu achten. Das ist möglich.
Allerdings werde ich das nie erfahren. Die CT-Aufnahmen und die Autopsie werden es mir nicht verraten. Es gibt so viel, was mir verborgen bleiben wird, einschließlich der Antwort auf die Frage, warum er mir nie von dem Haus in Salem erzählt hat. Laut Benton hat Fielding das Haus unmittelbar nach seinem Umzug nach Massachusetts, also im Januar vor einem Jahr, gekauft, ohne es mir gegenüber zu erwähnen. Ich bin nicht sicher, ob er damit kriminelle Machenschaften oder Absichten vertuschen wollte. Mir erscheint es eher, als hätte er sich nach etwas gesehnt, das nur ihm gehörte und mich nichts anging, so dass ich mir keine Meinung darüber bilden konnte. Er wollte nicht, dass ich mich einmische, als er sich vornahm, den Heimathafen eines Schiffskapitäns aus dem achtzehnten Jahrhundert zu seinem Zufluchtsort zu machen – oder was er sich sonst davon erträumt hat.
Wie traurig, wenn das die Wahrheit ist , denke ich, als ich
das wie Saphire funkelnde Wasser betrachte, das sich auf der anderen Seite der vereisten Straße donnernd an die graue Felsenküste wirft. Ich gehe durch eine breite Öffnung, wo früher einmal eine Kassettentür hing, in ein Esszimmer mit frei liegenden dunklen Eichenbalken. Die weißverputzte Decke hat Wasserflecken. Ich stelle fest, dass die angelaufene zwiebelförmige Laterne in einen Eingangsflur und nicht über den staubigen Tisch aus Walnussholz gehört. Die Stühle ringsherum passen nicht zusammen und müssten neu gepolstert werden. Ich kann es Fielding nicht zum Vorwurf machen, dass er mich nicht in diesem Haus haben wollte. Ich bin zu kritisch, mir meines gottverdammten guten Geschmacks und meiner elitären Ansichten zu sicher. Kein Wunder, dass ich ihn auf die Palme gebracht habe. Ich ermögliche nicht nur schreckliche Ereignisse, sondern bin dazu noch eine schlechte Mutter, obwohl ich nicht einmal das Recht hatte, eine gute zu sein. Meine Rolle in seinem Leben war nur die einer verantwortungsbewussten Chefin. Wenn er hier wäre, würde ich mich bei ihm entschuldigen. Ich würde ihn bitten, mir zu verzeihen, dass ich ihn gekannt und mir Gedanken um ihn gemacht habe, denn was hat ihm das genutzt? Was habe ich, verdammt noch mal, für ihn getan?
An einer Ecke des Tisches bemerke ich eine staubfreie Stelle, wo jemand gegessen oder gearbeitet haben muss. Vielleicht hat ja auch die Olivetti hier gestanden. Der Stuhl davor ist in einem besseren Zustand als die anderen. Sein verschossenes, fadenscheiniges rotes Samtpolster hat keine Risse, so dass man sich vermutlich ohne Gefahr für Leib und Leben draufsetzen kann. Ich male mir aus, wie Fielding hier den Brief getippt hat, und versuche, ihn hier an diesem Tisch vor den alten, zurückversetzten Fenstern mit Blick auf die trostlose, mit Kies bestreute Auffahrt zu sehen. Doch es gelingt mir nicht, ihn mir vornübergebeugt auf einem zierlichen Stuhl unter einer
hängenden Laterne vorzustellen, wie er einen zweiseitigen Brief wieder und wieder abschreibt, bis er eine absolut fehlerfreie Version vorliegen hat.
Fielding mit seinen großen, ungeduldigen Fingern war nie ein Virtuose an der Tastatur. Er hatte sich selbst eine Methode beigebracht, die er als »Dreifingerzufallssystem« bezeichnete. Deshalb leuchtet die Theorie nicht ein, er sei der Verfasser des angeblich von Erica Donahue geschriebenen Briefes. Wenn man dazu noch Fieldings Zustand berücksichtigt, wie Benton ihn bei dem Treffen letzte Woche in meinem Büro erlebt hat, hätte sich mein Stellvertreter niemals solche Umstände gemacht, nur um einem Studenten aus Harvard den Mord an Mark Bishop unterzuschieben. Und warum hätte er einen sechsjährigen Jungen umbringen sollen? Ich nehme Benton die These nicht ab, Fielding habe sich selbst als Kind getötet, indem er Mark Bishop Nägel in den Kopf trieb. Benton hat mir erklärt, Fielding habe damit einen Schlussstrich unter seine eigene Kindheit ziehen wollen, doch er hat mich nicht überzeugt.
Allerdings muss ich mir vor Augen halten, dass es im Leben viele Dinge gibt, die demjenigen, der sie tut, sinnvoll erscheinen, während seine Mitmenschen sich ratlos am Kopf kratzen. Selbst wenn man es ihnen erläutert,
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