Bastard
die Schulterblätter, und ich fühle mich, als hätte mich ein laut fauchender Drache angegriffen. Ich verliere das Gleichgewicht.
Ein durchdringender Schrei, ein Zischen und ein warmer, feuchter Nebel, der sich auf mein Gesicht legt, während ich gegen das Auto pralle und mit aller Kraft nach der unbekannten Gestalt aushole. Wie ein Baseballschläger prallt die Maglite krachend gegen etwas Hartes, das unter der Wucht des Hiebs nachgibt und zurückweicht. Wieder hole ich aus und treffe auch, diesmal etwas, das sich anders anfühlt. Metallischer Blutgeruch steigt mir in die Nase, und ich schmecke das Blut auch auf den Lippen und im Mund, als ich erneut zuschlage; allerdings ist da nur leere Luft. Im nächsten Moment geht das Licht an, ich werde geblendet. Ich bin mit einem feinen Blutschleier bedeckt, der aussieht, als stammte er aus einer Airbrush-Pistole. Benton steht in der Garage und zielt mit einer Pistole auf die Frau im langen schwarzen Mantel, die bäuchlings auf dem Boden liegt. Unter ihrer rechten Hand bildet sich eine Blutlache, daneben erkenne ich eine abgetrennte Fingerspitze mit einem funkelnden weißen Nagel. Französische Maniküre. Außerdem liegt da ein Messer mit einer schmalen Stahlklinge und einem dicken schwarzen
Griff, dessen schimmerndes Heft aus Metall mit einem Auslöseknopf versehen ist.
»Kay? Kay? Ist dir etwas passiert? Kay! Alles in Ordnung?«
Ich stelle fest, dass Benton mich anschreit, während ich mich neben die Frau kauere und seitlich am Hals nach ihrem Puls taste. Ich vergewissere mich, ob sie atmet, und drehe sie auf den Rücken, um ihre Pupillen zu untersuchen. Keine davon ist starr. Ihr Gesicht ist blutig, wo die Maglite sie getroffen hat. Erstaunt stelle ich fest, wie sehr sie ihm ähnelt. Das dunkelblonde, sehr kurz geschnittene Haar, die markanten Züge und die volle Unterlippe sehen aus wie bei Jack Fielding. Selbst die kleinen, anliegenden Ohren sind seine, und ich spüre, dass sie Kraft in Oberkörper und Schultern hat. Obwohl sie nicht sehr groß ist, etwa zwischen eins fünfundsechzig und eins achtundsechzig, ist sie grobknochig wie ihr toter Vater. All diese Eindrücke stürmen auf mich ein, während ich Benton bitte, schnell ins Haus zu laufen, einen Notarzt zu rufen und einen Kübel mit Eiswürfeln mitzubringen.
23
Über Nacht ist eine Warmfront herangezogen und hat noch mehr Schnee gebracht, diesmal ein sanftes Rieseln, das lautlos fällt, sämtliche Geräusche dämpft, alles Hässliche zudeckt und scharfe, harte Kanten weichzeichnet.
Ich sitze im Schlafzimmer im ersten Stock unseres Hauses in Cambridge im Bett. Schnee fällt und sammelt sich auf den kalten Ästen einer Eiche vor dem großen Fenster neben mir. Gerade war da noch ein dickes Eichhörnchen, das geschickt auf einem winzigen Zweig balancierte. Wir haben einander durchs Fenster angesehen, während ich die Papiere und Fotos auf meinem Schoß durchschaue. Der Geruch von altem Papier und Staub steigt mir in die Nase. Außerdem der medizinische Geruch der Reinigungstücher, die ich bei Sock verwendet habe. Ich habe nämlich den Verdacht, dass seine Ohren schon seit einiger Zeit nicht gereinigt worden sind, vielleicht sogar noch nie, jedenfalls nicht so gründlich wie bei mir. Anfangs gefiel es ihm gar nicht, aber ich habe ihn mit sanfter Stimme und mit von Lucy mitgebrachten Süßkartoffelleckerchen überredet. Sie hat mir auch eine Schachtel der gleichen Reinigungstücher gegeben, die sie bei ihrer Bulldogge benutzt. Das Miconazol-Chlorhexidin ist gut für Dickhäuter. Ich habe den Fehler gemacht, das meiner Nichte gegenüber zu erwähnen, als sie mir heute Morgen einen Besuch abgestattet hat.
Jet Ranger hätte es gar nicht gern, wenn man ihn einen Dickhäuter nennt, entgegnete Lucy. Schließlich sei er weder ein Elefant noch ein Nilpferd, und den Maßnahmen zur Eindämmung seines Gewichts seien Grenzen gesetzt. Sie habe ihn auf eine neue Diät für Senioren gesetzt, aber wegen seiner Hüftprobleme bekäme er zu wenig Bewegung, und außerdem
würde der Schnee aus irgendwelchen Gründen Ausschlag an den Pfoten verursachen. Und seine Beine seien für so tiefen Schnee zu kurz, weshalb er um diese Jahreszeit nicht einmal einen kleinen Spaziergang unternehmen könne. So redete sie immer weiter. Offenbar hatte ich sie wirklich gekränkt. Aber so kann Lucy eben sein, wenn sie sich Sorgen macht oder Angst hat. Am meisten ärgert sie, dass sie gestern Nacht nicht hier war, um sich Dawn Kincaid vorzuknöpfen.
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