Bastard
Information war, dass ihr Zustand stabil ist.«
»Stabil? Das soll wohl ein Scherz sein.«
»Ich meinte körperlich stabil. Der wieder angenähte Finger und die tiefen Schnittverletzungen an den anderen dreien. Vermutlich war die Kälte in der Garage ein Glück für sie. Und natürlich, dass wir daran gedacht haben, die Hand und den abgetrennten Finger in Eis zu packen. Hoffentlich hat das etwas genutzt. Weißt du Näheres? Ich habe seit ihrer Einlieferung ins Krankenhaus gestern Nacht nichts mehr gehört.«
»Das ist doch wohl nicht dein Ernst, oder?« Marino fixiert mich mit Augen, die noch genauso blutunterlaufen sind wie gestern in Salem.
»Doch, ist es. Niemand sagt mir etwas. Benton hat mir vorhin versprochen, sich zu erkundigen, aber ich denke, er hat es nicht getan.«
»Er hat den ganzen Vormittag mit uns telefoniert.«
»Könntest du vielleicht so gut sein, im Krankenhaus anzurufen und nachzufragen?«
»Als ob es mich einen Scheißdreck interessieren würde, ob sie einen oder alle verdammten Finger verliert«, entgegnet Marino. »Warum kümmert es dich? Hast du Angst, dass sie dich verklagt? Das muss es sein. Wäre das nicht eine Nummer?
Bestimmt macht sie das. Sie zerrt dich vors Gericht, weil sie ihre Hand nicht mehr dazu benutzen kann, Nanoroboter zusammenzubasteln. Voll durchgeknallt. Wahrscheinlich sind Psychopathen im Vergleich zu anderen Geisteskranken stabil. Kann man gleichzeitig ein Psychopath sein und trotzdem im Alltag gut genug funktionieren, um in einem Laden wie Otwahl zu arbeiten? Der Prozess gegen sie wird ein Riesenproblem. Und kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn sie freikommt?«
»Warum sollte sie freikommen?«
»Ich wiederhole nur: Der Prozess wird ein Problem. Und sollte sie wirklich freigesprochen werden, schwebst du in Gefahr. Und wir anderen auch.«
Als er sich unaufgefordert am Fußende des Bettes niederlässt, sackt das Möbel ein. Ich fühle mich, als würde ich plötzlich an einem Berghang sitzen. Marino streichelt Sock und teilt mir mit, das FBI habe die »Bruchbude« gefunden, die Dawn Kincaid gemietet hat, ein Einzimmerapartment in Revere am Stadtrand von Boston. Dort hat sie übernachtet, wenn sie sich nicht gerade bei Eli Goldman, ihrem leiblichen Vater Jack Fielding oder bei anderen Menschen aufgehalten hat, die sich in ihrem Spinnennetz verfangen haben. Marino nimmt das iPad aus der Hülle und erklärt mir, er, Lucy und eine beträchtliche Anzahl von Spurensicherungsexperten hätten besagte Bruchbude stundenlang durchsucht und Dawns Computer und ihre gesamte Habe unter die Lupe genommen – einschließlich der Dinge, die sie gestohlen hat.
»Was ist mit ihrer Mutter?«, frage ich. »Hat jemand mit ihr gesprochen?«
»Dawn hat schon seit einigen Jahren Kontakt mit ihrer Mutter und sie hin und wieder im Gefängnis in Georgia besucht. Im Lauf der Zeit hat sie immer wieder mal Verbindung mit ihr und Fielding aufgenommen. Sie hat sich gemeldet,
wenn sie etwas wollte, ein absolut manipulativer Mensch, der andere Leute nur benutzt.«
»Weiß die Mutter, was hier passiert ist?«
»Warum interessierst du dich für die Gefühle einer gottverdammten Kinderschänderin?«
»Ihre Beziehung zu Jack war nicht so einfach. Es lässt sich nicht so leicht erklären, wie du es gerade elegant in Worte gekleidet hast. Ich fände es schrecklich, wenn sie es aus den Nachrichten erfährt.«
»Scheißegal.«
»So etwas wünsche ich niemandem«, beharre ich. »Ganz gleich, wer er auch sein mag. Ihre Beziehung zu ihm war nicht so einfach«, wiederhole ich. »Das sind solche Beziehungen nämlich nie.«
»Für mich ist die Sache klar wie Kloßbrühe. Schwarz und weiß.«
»Ich will nicht, dass sie es in den Nachrichten hört«, wiederhole ich und bemerke, dass ich dabei bin, mich in etwas zu verrennen. »So etwas macht mich traurig. Es ist grausam, wenn jemand auf diesem Weg eine schlechte Nachricht erhält. Das beschäftigt mich.«
»Eine Kleptomanin«, verkündet Marino, denn ihn kümmern nur der Fall und das, was die Spurensicherungsexperten in Dawn Kincaids Wohnung entdeckt haben.
Um Marino zu zitieren, ist Dawn Kincaid offenbar eine Kleptomanin, wie sie im Buche steht. Er berichtet, sie habe bei allen möglichen Leuten Souvenirs mitgehen lassen, auch Dinge, deren Eigentümer wir noch gar nicht kennen. Allerdings haben die Ermittler einige Schmuckstücke und seltene Münzen aus dem Haus der Donahues sichergestellt, ebenso wie ein paar wertvolle signierte
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