Bastard
Notenmanuskripte, deren Fehlen in der Familienbibliothek Mrs. Donahue noch gar nicht bemerkt hat.
In einer abgeschlossenen Truhe in Dawns Wandschrank befinden sich außerdem Waffen, die vermutlich aus Fieldings Sammlung stammen, und sein Ehering. In derselben Truhe steht auch eine Sporttasche, die ein schwarzes Satinband, einen weißen Kampfsportanzug, Trainingsutensilien, einen Sandwichbeutel voll rostiger, L-förmiger Parkettnägel und ein Paar Taekwondo-Schuhe für Jungen, Marke Adidas, enthält. Wahrscheinlich hat Mark Bishop sie getragen, als er am späten Nachmittag des Tages, an dem er ermordet wurde, im Garten Tritte geübt hat. Allerdings besteht keine Gewissheit darüber, wie Dawn den Jungen dazu überredet hat, sich bäuchlings auf den Boden zu legen und bei einem grausigen Spiel mitzumachen, das daraus bestand, »so zu tun«, als schlüge sie ihm Nägel in den Kopf. Oder den ersten Nagel, um genau zu sein.
»Er ist wahrscheinlich genau hier eingedrungen«, mutmaßt Marino und deutet auf die Stelle zwischen Nacken und Schädelansatz. »Daran wäre er sofort gestorben, richtig?«
»Wenn du es unbedingt so ausdrücken willst«, erwidere ich.
»Vielleicht hat sie Fielding ja manchmal beim Kindertraining geholfen«, fabuliert er weiter. »Deshalb kennt sie der Junge und bewundert sie. Sie ist ja auch wirklich attraktiv. Ich an ihrer Stelle hätte dem Jungen gesagt, ich wolle ihm einen neuen Trick beibringen. Dazu müsse er sich auf den Bauch legen. Und natürlich tut so ein Kind, was ein Lehrer oder Trainer von ihm verlangt. Er legt sich also hin, es ist fast dunkel draußen, und bumm , ist es vorbei.«
»So ein Mensch darf nie wieder auf freien Fuß kommen«, erwidere ich. »Sie wird weitere und noch grausigere Verbrechen begehen, falls das überhaupt möglich ist.«
»Sie streitet alles ab, schweigt und beharrt darauf, Fielding habe alle Morde auf dem Gewissen. Sie sei natürlich völlig unschuldig.«
»Er war es aber nicht.«
»Ganz deiner Ansicht.«
»Sie wird Probleme haben, zu erklären, was ihr in ihrer Wohnung gefunden habt«, wende ich ein, während ich weiter Fotos durchschaue. Offenbar hat Marino Hunderte gemacht.
»Sie ist attraktiv, charmant und hochintelligent. Und Fielding ist tot.«
»Erdrückende Beweislast.« Das habe ich beim Durchsehen der Fotos auf dem iPad bereits einige Male gesagt. »Die Staatsanwaltschaft wird Luftsprünge machen. Ich verstehe nicht, was du an dem Fall problematisch findest.«
»Glaub mir. Die Verteidigung wird alles auf Fielding schieben. Und diese durchgeknallte Schlampe nimmt sich garantiert ein tolles Team hochkarätiger Anwälte, die den Geschworenen Fielding als Täter verkaufen werden.« Als Marino sich zu mir vorbeugt, ändert sich das Gefälle des Bettes. Sock schnarcht friedlich vor sich hin, ohne sich für seine ehemalige Besitzerin oder ihre Bruchbude zu interessieren, in der auch ein Hundebett steht. Marino zeigt es mir.
Er lehnt sich weiter zu mir hinüber, klickt einige Fotos an, die das karierte Hundebett und einige Spielzeuge darstellen, und fordert mich auf, sie näher zu betrachten. So eingezwängt zwischen ihn und Sock, fühle ich mich beengt.
»Ich dachte, ich führe sie dir am besten selbst vor, weil ich sie schließlich geknipst habe«, sagt Marino.
»Danke, ich komme schon damit zurecht. Das mit den Fotos hast du übrigens gut gemacht.«
»Der springende Punkt ist, dass der Hund offenbar dort geschlafen hat.« Das heißt, Sock hat in Dawn Kincaids Bruchbude gelebt. »Außerdem auch bei Eli und Fielding«, fügt er hinzu. »Man muss ihr zugutehalten, dass sie den Hund offenbar gerngehabt hat.«
»Sie hat ihn allein in Jacks unbeheiztem Haus zurückgelassen.
« Ich klicke mich durch Fotos, wie sie belastender nicht sein können.
»Ihr ist alles scheißegal, was ihr gerade nicht in den Kram passt. Dann entsorgt sie es einfach auf die eine oder andere Weise. Also hat sie sich um den Hund gekümmert, solange sie Lust dazu hatte.«
»Das klingt wahrscheinlicher«, stimme ich zu.
Ich betrachte Fotos von einem ungemachten Doppelbett und andere von einem absolut zugemüllten, winzigen Schlafzimmer. Offenbar ist Dawn Kincaid ein Messie.
»Sie hatte auch noch einen anderen Grund, Sock nicht mitzunehmen«, fährt Marino fort. »Indem sie den Hund bei Fielding ließ, hat sie uns auf eine falsche Fährte gelockt und uns weisgemacht, dass er die anderen und anschließend sich selbst umgebracht hat. Der Hund ist da. Seine rote Leine ist
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