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Bastard

Bastard

Titel: Bastard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Hund. Ich spule die Aufnahme zurück und spiele sie noch einmal ab. Unvermittelt erscheint seine schwarz behandschuhte Hand im Bild, und er stößt die Worte »Was zum …? Hey …!« hervor. Ich komme zu dem Schluss, dass er überrascht und verärgert klingt, so als hätte ihn etwas getroffen, dass ihm die Luft wegbleibt.

    Wieder spiele ich das Video ab und spitze die Ohren. Meiner Ansicht nach ist sein Tonfall empört, vielleicht ein wenig ängstlich, ja, und Schmerzen sind auch dabei, wie bei einem Menschen, der auf einem belebten Gehweg mit dem Ellbogen gestoßen oder heftig angerempelt wird. Im nächsten Moment wirbeln die Wipfel der Bäume um ihn herum. Schiefersplitter kommen ins Bild und werden größer, als der Mann mit einem dumpfen Geräusch auf den Pfad fällt. Entweder liegt er auf dem Rücken, oder er hat den Kopfhörer verloren. Auf dem Bildschirm erscheinen kahle Äste und ein grauer Himmel. Dann rauscht der Saum eines langen schwarzen Mantels vorbei, als jemand schnell davongeht. Erneut ein lautes, scharrendes Geräusch, und das Bild wechselt noch einmal. Kahle Äste und ein grauer Himmel, allerdings andere Äste, die durch die Ritzen einer grünen Bank zu erkennen sind. Alles geschieht sehr schnell.
    Unbeschreiblich schnell. Die Stimmen und Geräusche von Menschen werden lauter.
    »Jemand soll einen Krankenwagen rufen!«
    »Ich glaube, er atmet nicht mehr.«
    »Ich habe kein Telefon dabei. Ruf du den Krankenwagen!«
    »Hallo? Es hat … äh, ja, in Cambridge. Ja, Massachusetts. Herrgott! Beeilen Sie sich, beeilen Sie sich. Das ist ja nicht zu fassen! Ja, ja, ein Mann. Er ist zusammengebrochen und atmet offenbar nicht mehr … Norton’s Woods, an der Ecke Irving Street und Bryant … Ja, jemand versucht es mit Herzmassage. Ich bleibe am Apparat … Ich bleibe dran. Ja, ich meine, ich weiß nicht … Sie will wissen, ob er immer noch nicht atmet. Nein, nein, er atmet nicht! Er bewegt sich nicht! Ich habe nicht gesehen, wie es passiert ist. Als ich mich umgedreht habe, lag er auf dem Boden. Ganz plötzlich.«
    Ich drücke auf Pause und steige aus. Es ist kalt und sehr windig, als ich in den Terminal haste. Es ist ein kleines Gebäude
mit Toiletten, einem Sitzbereich und einem alten Fernsehgerät, das gerade eingeschaltet ist. Ich sehe mir eine Weile die Nachrichten auf Fox an und spule dabei das Video auf dem iPad vor, während Lucy am Empfangstisch lehnt und mit einer Kreditkarte die Landegebühr bezahlt. Inzwischen bin ich sicher, dass der Kopfhörer, die Kamera nach oben gerichtet, unter einer Bank gelandet ist. Das XM-Radio spielt Dark lady laughed and danced and lit the candles one by one … Die Musik ist jetzt lauter, weil der Kopfhörer nicht mehr am Kopf des Mannes anliegt. Es ist ziemlich absurd, Cher singen zu hören.
    Stimmen, sie klingen drängend und aufgeregt. Ich höre Schritte und das entfernte Heulen einer Sirene. Unterdessen plaudert meine Nichte mit einem älteren Mann, einem Kampfpiloten im Ruhestand, der nun, wie er ihr bereitwillig erläutert, in Teilzeit im Verwaltungsgebäude des Flugplatzes arbeitet.
    »… in Vietnam. Das wäre dann eine F-4 gewesen, richtig?«, meint Lucy.
    »Ja, und eine Tomcat. Das war die letzte Maschine, die ich geflogen habe. Aber die Phantom war noch bis in die achtziger Jahre im Einsatz. Wenn man sie richtig wartet, sind sie nicht kaputtzukriegen. Schauen Sie sich nur an, wie lange es die C-5 schon gibt. In Israel haben sie, glaube ich, noch immer ein paar Phantom. Vielleicht auch im Iran. Die, die in den USA noch übrig sind, verwendet man als unbemannte Maschinen, als Drohnen. Ein tolles Flugzeug. Haben Sie je eins gesehen?«
    »In Belle Chasse, Louisiana, auf dem Luftstützpunkt der Marine. Ich war mit meinem Helikopter dort, um nach dem Wirbelsturm Katrina zu helfen. Man hat bei der Orkanbekämpfung versucht, mit einer Phantom ins Auge des Hurrikans hineinzufliegen.« Der Mann nickt.

    Der Bildschirm des iPads wird schwarz. Der Kopfhörer hat nichts mehr aufgezeichnet. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass er ein Stück entfernt unter der Bank gelandet ist, als der Mann zu Boden stürzte. Der Bewegungsmelder hat nicht mehr genug Aktivität aufgefangen und ihn deshalb in den Ruhezustand versetzt. Das wundert mich. Auf welche Weise genau hat der Mann den Kopfhörer verloren, und wie ist das Gerät unter die Bank geraten? Vielleicht wurde es von jemandem mit dem Fuß weggestoßen. Entweder zufällig von einem Helfer oder absichtlich von dem

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