Bastard
Tribune , das Wall Street Journal und, wenn es einen nicht stört, dass die Nachrichten schon ein paar Tage alt sind, Zeitungen aus London, Berlin und Paris. Manchmal stoßen wir auch auf ein Exemplar von La Nazione oder L’Espresso . Ich lese Artikel über Florenz und Rom vor, wir studieren die Mietangebote für Villen und träumen davon, zu leben wie die Einheimischen und die Ruinen und Museen, die italienische Landschaft und die Küste von Amalfi zu erkunden.
Der Mann bleibt auf dem belebten Gehweg stehen und hat es sich offenbar anders überlegt. Er und Sock trotten über die Straße, und ich weiß inzwischen, wohin sie wollen. Zumindest glaube ich das. In der Quincy Street geht es nach links. Mittlerweile schreiten sie noch schneller aus, und der Mann hat eine Plastiktüte in der Hand, als könnte Sock es sich nicht mehr sehr lange verkneifen. Vorbei an der modernen Lamont Library, dem Harvard Faculty Club, einem dem georgianischen Stil nachempfundenen Backsteingebäude, dem Fogg Museum und der gotischen Church of New Jerusalem. In der Kirkland Avenue biegen sie rechts ab. Wir sind zu dritt. Ich begleite sie, als sie auf die Irving Street zusteuern und sich
dort nach links wenden. Bis zu Norton’s Woods und Bentons und meinem Haus sind es nur wenige Minuten. Im Satellitenradio läuft Five for Fighting … even heroes have the right to bleed …
Meine Beklommenheit wächst mit jedem Schritt, als wir uns dem Moment nähern, in dem der Mann stirbt und der Hund sich in der bitteren Kälte verläuft. Ich will es verzweifelt verhindern, und ich gehe mit ihnen, als würde ich sie zur Schlachtbank führen, denn im Gegensatz zu ihnen weiß ich, was gleich geschehen wird. Ich möchte sie dazu bringen, anzuhalten und umzukehren. Dann erscheint links von uns das Haus, dreistöckig und weiß, mit schwarzen Fensterläden und einem Schieferdach. Amerikanischer Klassizismus, erbaut im Jahr 1824 von einem Transzendentalisten, der mit den Schriftstellern Ralph Waldo Emerson und später Henry David Thoreau befreundet war. Innen ist das Haus, Bentons und mein Haus, mit originalen Holzteilen, Stuck, verputzten Decken und freiliegenden Balken ausgestattet. Auf Höhe der Treppenabsätze befinden sich prachtvolle französische Buntglasfenster, die Tierszenen darstellen und im Sonnenlicht funkeln wie Edelsteine. In der schmalen, gepflasterten Auffahrt erkenne ich einen Porsche 911. Abgaswolken quellen aus dem verchromten Auspuff.
Benton rangiert den Sportwagen rückwärts. Die Heckleuchten funkeln wie feurige Augen, als er bremst, um einen Mann mit Hund vorbeizulassen. Der Mann wendet den Kopfhörer Benton zu. Vielleicht bewundert er den Porsche, ein schwarzes Turbo-Cabriolet mit Allradantrieb, das Benton stets blank poliert wie Lackleder. Ich frage mich, ob er sich an den jungen Mann mit der weiten grünen Jacke und dem weißen Greyhound erinnert und ob sie ihm überhaupt aufgefallen sind. Aber ich kenne Benton. Er wird anfangen zu grübeln und vermutlich genauso wenig von dem Mann und seinem
Hund loskommen wie ich. Ich überlege, was Benton gestern getan hat. Am späten Nachmittag hat er kurz in einem Büro im McLean Hospital vorbeigeschaut, weil er vergessen hatte, die Fallakte des Patienten, über den er heute ein Gutachten anfertigen soll, nach Hause mitzunehmen. Das Kleine-Welt-Phänomen: ein junger Mann und sein alter Hund, die bald für immer auseinandergerissen werden, und mein Mann, allein im Auto und auf dem Weg ins Krankenhaus, um eine vergessene Akte zu holen. Ich beobachte, wie sich die Dinge entwickeln, als wäre ich Gott. Wenn es sich wirklich so anfühlt, Gott zu sein, ist es sicher ein schrecklicher Zustand. Ich weiß, was geschehen wird, und bin absolut machtlos dagegen.
3
Ich bemerke, dass der Transporter stehengeblieben ist. Marino und Lucy steigen aus. Wir parken vor der John B. Wallace Civil Air Facility. Ich bleibe sitzen und beobachte weiter die Geschehnisse auf dem Bildschirm des iPads, während Lucy und Marino anfangen, meine Sachen auszuladen.
Kalte Luft weht durch die offene Heckklappe herein. Ich frage mich, warum der Mann beschlossen hat, Sock in Norton’s Woods auszuführen, beinahe in Somerville. Weshalb ausgerechnet hier und nicht in der Nähe seiner Wohnung? War er mit jemandem verabredet? Ein schwarzes Eisentor füllt den Bildschirm. Es steht einen Spalt offen, und seine Hand öffnet es weiter. Ich bemerke, dass er dicke schwarze Handschuhe angezogen hat, die wie Motorradhandschuhe
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