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Bastard

Bastard

Titel: Bastard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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aussehen. Friert er an den Händen, oder hat er andere Gründe? Womöglich hat er doch üble Absichten. Vielleicht plant er ja, die Pistole zu benutzen. Ich stelle mir vor, wie er den Schlitten einer 9-Millimeter-Pistole zurückschiebt und abdrückt. Mit dicken Handschuhen an den Händen? Es ergibt keinen Sinn.
    Ich höre, dass er die Plastiktüte aufschüttelt. Als er nach unten schaut, sehe ich sie und erhasche einen Blick auf einen Gegenstand, der offenbar eine winzige Holzschachtel ist. Zur Aufbewahrung von Marihuana , denke ich. Einige dieser Schachteln bestehen aus Zedernholz und sind sogar mit einem winzigen Hygrometer ausgestattet, wie ein Humidor. Mir fällt die bernsteinfarbene Glaspfeife auf dem Schreibtisch in seiner Wohnung ein. Vielleicht führt er seinen Hund gern in Norton’s Woods aus, weil der Park abgelegen und für gewöhnlich menschenleer ist. Außerdem ist er für die Polizei kaum von Interesse, wenn sich nicht gerade ein Prominenter
hier aufhält oder eine wichtige Veranstaltung stattfindet, so dass Sicherheitsmaßnahmen erforderlich werden. Vielleicht kommt er ja gern hierher, um einen Joint zu rauchen. Er pfeift Sock heran, bückt sich und nimmt ihm die Leine ab. »Na, alter Junge, kennst du unser Plätzchen noch? Zeig mir unser Plätzchen«, höre ich ihn sagen. Er fügt noch etwas hinzu, allerdings so gedämpft, dass ich es nicht richtig verstehe. Es klingt wie »Und für dich«, gefolgt von »Möchtest du eins schicken …?« oder »Wirst du eins schicken …?«. Auch nach zweimaligem Abspielen weiß ich noch immer nicht, was er meint. Vermutlich liegt es daran, dass er sich vorbeugt und in den Kragen seiner Jacke spricht.
    Mit wem redet er? Ich kann niemanden in der Nähe erkennen. Nur den Hund und die behandschuhten Hände. Dann wechselt die Kameraeinstellung. Der Mann richtet sich auf, und ich habe wieder Blick auf den Park: Bäume, Bänke und auf der einen Seite ein gepflasterter Weg, der an dem Gebäude mit dem grünen Dach entlangführt. Ich erkenne auch einige Personen und schließe aus ihren dicken Wintersachen, dass sie keine Hochzeitsgäste sind, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach im Park spazieren gehen wie der Mann. Sock trottet ins Gebüsch, um seine Notdurft zu verrichten, während sein Herr weiter in den idyllischen, von alten Ulmen und grünen Bänken geprägten Park hineinschlendert.
    Er pfeift. »Hey, alter Junge, komm mit.«
    An den schattigen Stellen und rings um die Rhododendronbüsche liegt tiefer, von totem Laub, Steinen und zerbrochenen Zweigen durchsetzter Schnee, der in mir morbide Gedanken an heimlich verscharrte Leichen, abgelöste Haut und verwitterte, abgenagte und verstreute Knochen wachruft. Der Mann beobachtet, schaut sich um, und die versteckte Kamera richtet sich auf das aus drei Schichten bestehende grüne Metalldach des Gebäudes aus Glas und Holz, das ich von der Sonnenterrasse
von meinem und Bentons Haus aus sehen kann. Als der Mann sich umdreht, erkenne ich im Erdgeschoss eine Tür, die ins Freie führt. Die Kamera nimmt eine grauhaarige Frau auf, die vor dieser Tür steht. Sie trägt ein Kostüm und einen langen braunen Ledermantel und telefoniert.
    Der Mann pfeift. Seine Schritte knirschen auf dem mit Granitkieseln bestreuten Pfad, als er zu Sock hinübergeht, um die Hinterlassenschaft des Hundes einzusammeln. I get so lost, sometimes days pass and this emptiness fills my heart  …, singt Peter Gabriel. Ich erinnere mich an den jungen Soldaten mit demselben Namen, der in seinem Humvee verbrannt ist, und rieche ihn, als hätte sich sein Gestank tief im Inneren meiner Nase gehalten. Dann denke ich an seine Mutter und ihre Trauer und Wut am Telefon, als sie mich heute Morgen anrief. Rechtsmediziner kann zuweilen ein undankbarer Beruf sein, denn hin und wieder behandeln mich die Hinterbliebenen, als ob ich den Tod ihres geliebten Angehörigen persönlich verschuldet hätte. Ich versuche mir das vor Augen zu halten. Du bist nicht gemeint.
    Die behandschuhten Hände schütteln wieder die Plastiktüte aus. Es ist eine, wie man sie auf dem Markt bekommt. Und dann geschieht etwas. Die Hand des Mannes fährt zu seinem Kopf, und ich höre ein Klappern, als sie gegen den Kopfhörer prallt. Es ist, als wollte er nach etwas schlagen. »Was zum …? Hey …!«, ruft er atemlos und erschrocken. Vielleicht ist es auch ein Schmerzensschrei. Aber ich kann nichts und niemanden sehen. Nur Wald und einige Gestalten in der Ferne, allerdings weder Mann noch

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