Bastard
der damals Leiter der Mordkommission in Richmond war, am Tatort. Damals fingen Fielding und ich gerade an, wenn auch auf völlig unterschiedliche Weise. Er war ein gutaussehender Arzt am Anfang seiner Karriere, während ich dabei war, mich an ein Dasein als Zivilistin und die Rolle des Chief Medical Examiner zu gewöhnen und nach Möglichkeit nicht zurückzuschauen. Vielleicht schaut Fielding ja auch nicht zurück, obwohl ich nicht wüsste, warum. Seine Vergangenheit ist, verglichen mit meiner, frei von dunklen Geheimnissen. Er hat nicht Beihilfe zur Vertuschung eines Verbrechens geleistet. Nie hatte er mit etwas zu tun, vor dem er sich hätte verstecken müssen. Zumindest nicht, soweit mir bekannt ist. Inzwischen jedoch bin ich mir da nicht mehr so sicher. Was weiß ich eigentlich noch?
Nicht viel, bis auf das Gefühl, dass er mich, ja vielleicht uns alle, aus seinem Leben gestrichen hat. Ich ahne, dass er mehr über Bord geworfen hat als je zuvor. Davon bin ich überzeugt, ohne den genauen Grund zu kennen. Gut, seine persönliche Habe ist noch hier. Sein Regenanzug aus Goretex hängt an
einem Bügel. Ebenso wie seine Anglerstiefel aus Neopren, seine Tasche mit der Taucherausrüstung, sein Tatortkoffer im Schrank und seine Sammlung aus Polizeiabzeichen und Gedenkmünzen von Polizei und Militär, die ich, wie ich mich erinnere, mit ihm in sein Büro geräumt habe. Ich habe ihm sogar geholfen, die Möbel umzustellen. Schimpfend, lachend und ächzend haben wir den Schreibtisch und den Konferenztisch unzählige Male hin und her gerückt.
»Ich fühle mich wie bei Laurel und Hardy«, sagte er. »Willst du als Nächstes den Esel die Treppe hinaufschieben?«
»Du hast keine Treppe.«
»Ich überlege, ob ich mir ein Pferd zulegen soll«, meinte er, während wir für die gerade verrutschten Stühle wieder einen neuen Platz suchten. »Etwa anderthalb Kilometer entfernt von uns gibt es ein Gestüt. Ich könnte das Pferd dort unterbringen und vielleicht zur Arbeit oder zum Tatort reiten.«
»Ich werde das in die Dienstanweisung aufnehmen: Pferde verboten.«
So witzelten wir und zogen einander auf. An diesem Tag sah er gut aus – strotzend vor Lebenskraft und Zuversicht. Seine Muskeln spannten sich unter den kurzen Ärmeln seines Kittels. Damals hatte er eine traumhafte Figur und strahlte vor Gesundheit. Sein Gesicht war noch jungenhaft attraktiv, sein dunkelblondes Haar zerzaust, und er hatte sich seit einigen Tagen nicht rasiert. Er war sexy und unterhaltsam. Ich erinnere mich an das Getuschel und Gekicher einiger Mitarbeiterinnen, die an seiner offenen Tür vorbeigingen und Vorwände suchten, um ihn anzustarren. Fielding schien so glücklich, hier und mit mir zusammen zu sein. Ich weiß noch, wie wir gemeinsam Fotos aufhängten und unserer Anfangstage gedachten – Fotos, die inzwischen verschwunden sind.
An ihrer Stelle hängen welche, die ich nicht kenne. Sie sind auffällig auf den Regalen und an den Wänden platziert und
zeigen Fielding in förmlicher Pose mit Politikern und hohen Militärs. Auf einem ist er mit General Briggs, auf einem anderen mit Captain Avallone zu sehen – vielleicht ist es während der Besichtigungstour entstanden. Er wirkt hölzern und gelangweilt. Auf einem Foto von ihm im weißen Taekwondo-Anzug, mitten im Sprung und nach einem imaginären Gegner austretend, macht er einen zornigen Eindruck. Sein Gesicht ist gerötet und hasserfüllt. Als ich die Familienbilder aus jüngster Zeit betrachte, komme ich zu dem Schluss, dass er darauf auch nicht sehr zufrieden aussieht, nicht einmal wenn er seine beiden kleinen Töchter auf dem Schoß hat oder den Arm um seine Frau Laura legt. Sie ist eine zarte Blondine, deren hübsches Aussehen allmählich abgeschliffen wird, so als grübe ein anstrengendes Dasein körperlich seine Spuren in sie hinein und meißelte Rillen und Furchen in eine ehemals idyllische und ebene Landschaft.
Sie ist Fieldings Ehefrau Nummer drei, und ich kann anhand der chronologisch festgehaltenen Momente seinen Niedergang verfolgen. Zum Zeitpunkt der Hochzeit strotzte er noch vor Tatendrang und wies weder die Spur eines Ausschlags noch unansehnliche kahle Stellen auf. Ich bleibe stehen, um zu bewundern, wie traumhaft er damals ausgesehen hat, mit nacktem Oberkörper, mit steinharten Muskeln und in Joggingshorts. Auf dem Foto wäscht er gerade seinen 67er Mustang – kirschrot, mit Rallyestreifen auf der Motorhaube. Und plötzlich, im letzten Herbst erst, waren da plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher