Bastard
es, dass er keine leichte Hand hat, weder beim Führen eines Skalpells noch beim Tippen oder wenn er etwas schreibt. Für einen Kampfsportler ist er erstaunlich unsanft, ungeduldig und unbeherrscht. Außerdem hält er einen Bleistift oder Kugelschreiber wie ein Kind mit zwei Fingern oben fest, als benutzte er Essstäbchen. Deshalb kommt es bei ihm häufig vor, dass er Minen oder Spitzen abbricht, und Markierstifte halten bei ihm nie lange.
Ich erkenne Fieldings nahezu unleserliches Gekritzel auch ohne elektrostatische Dokumentenanalyse, Vakuumkammer oder ein anderes Gerät zur Deutung von Schriftabdrücken, ja sogar bei schlechtem Licht und auf die altmodische Methode, das heißt mit bloßem Auge. Offenbar handelt es sich um zwei voneinander unabhängige Notizen. Die eine ist eine Telefonnummer mit der Vorwahl 508 und dem Vermerk »MVF18/08/GB Vert. Min. Terminkal. 08/02«. Die zweite: »Uni Sheffield, heute in Whitehall. Over and out. « Ich schaue noch einmal hin, um sicherzugehen, dass ich die letzten drei
Wörter richtig gelesen habe. Over and out. Das Ende eines Funkspruchs. Allerdings auch ein Lied einer Heavy-Metal-Band, das Fielding damals in Richmond ständig im Auto gehört hat. Over and out / every dog has its day. Er sang es mir vor, wenn er mir mit Kündigung drohte, wenn er genug hatte oder wenn er mich aufzog und flirtete und nur so tat, als reichte es ihm. Hat er aus irgendeinem Grund an mich gedacht, als er over and out auf den Notizblock schrieb?
Ich nehme einen Schreibblock aus der Schublade und notiere mir den Textabdruck. Dabei grüble ich darüber nach, was Fielding wohl im Schilde führt und was er mir sagen wollte. Beim Herumschnüffeln in seinem Büro musste ich den Ausdruck und die eingeprägte Schrift zwangsläufig finden. Er kennt mich und hat alles so hinterlassen, weil er verdammt gut weiß, wie mein Verstand funktioniert. Die University of Sheffield ist eines der weltweit besten Forschungsinstitute, und die Zentrale des Royal United Services Institute, abgekürzt RUSI, hat in Whitehall, dem ehemaligen Whitehall Palace und ursprünglichen Sitz von Scotland Yard, ihren Sitz.
Ich logge mich in Intelliquest ein, eine Suchmaschine, die Lucy für das CFC entwickelt hat. Dann tippe ich RUSI, 8. Februar und Whitehall ein. Ergebnis ist eine programmatische Rede mit dem Titel Zivile und militärische Zusammenarbeit . Die Rede, auf die Fielding offenbar anspielt, wurde um zehn Uhr vormittags britischer Ortszeit bei RUSI gehalten, für mich also gestern Morgen. Referent war Dr. Liam Saltz, der umstrittene Nobelpreisträger, dessen Endzeitszenarien zum Thema Rüstungstechnologie ihn zum natürlichen Feind von DARPA machen. Mir war gar nicht bekannt, dass er dem Lehrkörper der University of Sheffield angehört. Ich dachte immer, er lehre in Berkeley. Doch das hat sich inzwischen geändert, wie ich im Internet lese, während ich mich, ziemlich verwirrt,
an die Ausstellung im Courtauld im Sommer vor dem 11. September erinnere. Damals haben Lucy und ich einen Vortrag von Dr. Saltz gehört. Und kurz darauf hat Dr. Saltz, ebenso wie ich, MORT öffentlich kritisiert.
Ich denke über den Titel der Rede nach, die Dr. Saltz vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden gehalten hat. Zivile und militärische Zusammenarbeit. Das klingt ziemlich zahm für den provokanten Dr. Saltz, dessen Warnungen, die von der amerikanischen Regierung bewilligten mehr als zweihundert Milliarden Dollar zur Entwicklung zukünftiger Rüstungstechnologie – insbesondere unbemannter Fahrzeuge – seien der Anfang des Weges in die Selbstzerstörung, schriller gellen als eine Luftschutzsirene. Roboter seien auf den ersten Blick im Kampfeinsatz sinnvoll, sagt er. Doch was geschehe mit ihnen, wenn sie wie alte Jeeps und andere ausrangierte Militärbestände anschließend nach Hause zurückkehrten? Mit der Zeit würden sie die Zivilgesellschaft unterwandern. Die Folgen seien mehr Polizeistaat, mehr Überwachung und mehr gefühllose Maschinen, die den Menschen die Arbeit wegnähmen. Nur dass diese Maschinen zusätzlich bewaffnet und mit Kameras und Aufnahmegeräten ausgestattet seien.
Ich habe in den Nachrichten gehört, wie Dr. Saltz wahre Schreckensszenarien entwarf. Am Tatort würden bald »Polizeiroboter« erscheinen, während unbemannte »Streifenwagenroboter« Autos verfolgten, Strafmandate verteilten oder Haftbefehle vollstreckten. Vielleicht, Gott behüte, würde ein Sensor ihnen sogar die Anweisung geben, Gewalt anzuwenden.
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