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Bastard

Bastard

Titel: Bastard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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gefahren ist oder jemanden hingeschickt hat. Und soll ich dir erklären, weshalb Janelle diese Klamotten trägt? Ich glaube, sie ist, anders als im Dienstbuch vermerkt, nicht um vier gekommen, sondern gerade noch rechtzeitig, um dem Transportdienst die Tür aufzumachen und die Einlieferung der Leiche zu bestätigen. Danach hat sie sich auf dem Absatz umgedreht und ist wieder gegangen. Das kann ich rauskriegen. Man kann nachprüfen, wann sie die Alarmanlage ausgeschaltet hat, um das Gebäude zu betreten. Hängt davon ab, ob du einen Fall für die Bundesbehörden daraus machen willst.«
    »Mich wundert, dass Marino mich nicht über das Ausmaß der Probleme auf dem Laufenden gehalten hat.« Etwas anderes fällt mir dazu nicht ein, denn in meinem Kopf ist alles dunkel geworden.
    »Das ist wie der Hirtenjunge, der Zu Hilfe! Der Wolf! schreit«, entgegnet Lucy, und sie hat recht.
    Marino beschwert sich nämlich so oft über so viele Leute, dass ich ihm nur noch mit halbem Ohr zuhöre. Also fällt der Fehler auf mich zurück. Ich habe nicht aufgepasst. Ich war unaufmerksam. Aber vielleicht hätte ich ohnehin nicht darauf geachtet, ganz gleich, wer es mir erzählt hätte.
    »Ich muss noch einiges erledigen. Du weißt ja, wo ich bin«, meint Lucy. Sie öffnet meine Bürotür und lässt sie offen, als sie hinausgeht.
    Ich greife zum Telefon und wähle wieder Fieldings Nummer.
Diesmal hinterlasse ich keine Nachricht, und mir fällt auf, dass auch seine Frau nicht an den Apparat geht. Allerdings kann sie auf dem Display Namen und Nummer erkennen und nimmt vielleicht nicht ab, weil sie weiß, dass ich es bin. Möglicherweise ist seine Familie ja auch verreist. In einer Montagnacht mitten in einem Schneesturm? Obwohl er ganz genau weiß, dass ich wegen des Notfalls auf dem schnellsten Weg aus Dover zurückgekommen bin?
    Ich trete auf den Flur hinaus und fahre mit dem Daumen über das Lesegerät, um die Tür rechts von mir zu entriegeln. Dann stehe ich im Büro meines Stellvertreters und blicke mich langsam um, als wäre es ein Tatort.

11
    Ich habe sein Büro ausgesucht und darauf bestanden, dass er auch so ein schönes bekommt wie ich. Geräumig also und mit einer eigenen Dusche. Obwohl er Aussicht auf den Fluss und die Stadt hätte, sind die Rollläden geschlossen, was mich beunruhigt. Offenbar hat er sie zugemacht, als es draußen noch hell war, und ich frage mich nach dem Grund. Sicherlich war es kein guter. Was Jack Fielding auch immer getan haben mag, es löst eine unheilvolle Vorahnung in mir aus.
    Ich durchquere den Raum und öffne alle Rollläden. Durch die großen Glasscheiben, in denen man sich grau spiegelt, kann ich verschwommen die Lichter der Bostoner Innenstadt und wabernde Wolken aus gefrorener Feuchtigkeit erkennen, einen eisigen Schnee, der beim Aufprall Geräusche verursacht und beißend ist wie scharfe Zähne. Die Spitzen der Hochhäuser, des Prudential und des Hancock Tower, sind nicht auszumachen, und rings um die Kuppel über meinem Kopf ächzt ein böiger Wind. Auf dem Memorial Drive unter mir staut sich selbst um diese Uhrzeit der Verkehr. Der Charles River wirkt formlos und schwarz. Ich frage mich, wie tief der Schnee inzwischen ist und wie lange es wohl noch schneien wird, bis die Front nach Süden weiterzieht. Wird Fielding je in dieses Büro zurückkehren, das ich für ihn entworfen und eingerichtet habe? Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass das nicht geschehen wird, obwohl nichts darauf hindeutet, dass er für immer fort ist.
    Der größte Unterschied zwischen unseren Büros ist, dass seines von Hinweisen auf seinen Benutzer nur so strotzt. Fieldings diverse Hochschulabschlüsse, Zeugnisse und Belobigungen. In den Regalen seine Sammelobjekte wie signierte
Baseballbälle und -schläger, Taekwondo-Pokale und Plaketten, Modelle von Kampfflugzeugen und ein Teil von einem abgestürzten echten Jet. Ich gehe zu seinem Schreibtisch und betrachte die Fundstücke aus dem Bürgerkrieg: eine Gürtelschließe, ein Essgeschirr, ein Pulverhorn und ein paar Gewehrkugeln, die er, wie ich mich erinnere, in unseren Anfangsjahren in Virginia gesammelt hat. Allerdings keine Fotos, was mich traurig macht. An den kahlen Wänden erkenne ich die Stellen, wo sie gehangen haben, doch er hat sich die Mühe gespart, nach dem Entfernen der Nägel die Löcher zuzuspachteln.
    Es tut weh, dass er die vertrauten Fotos aus seiner Zeit als mein Praktikant entfernt hat. Schnappschüsse von uns im Autopsiesaal. Wir beide und Marino,

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