Bastarde (Von den Göttern verlassen) (German Edition)
beinahe tot. Ohne jede Regung. Die Gestalt war zierlich und wohl weiblich. Bei der Erinnerung an eine Frau wallte sein Blut erneut auf. Er musste wirklich etwas dagegen tun. Sein Körper war an regelmäßige Zuwendung gewöhnt. Vielleicht tat ihm die Zeit hier gut. Zeit zum Meditieren und sich in der Selbstkontrolle zu üben. Denn nichts war für schöne Frauen aufregender als ein Mann, den ihr Anblick kalt ließ.
Halif atmete tief ein und versuchte sich wieder auf das vor ihm liegende Buch zu konzentrieren. Doch das Bild der blonden Haare und dieser wunderschönen kalten Augen ließ ihm keine Ruhe. Er hätte gerne dafür gesorgt, dass diese Augen sich mit dem Feuer der Leidenschaft füllten. Er versuchte den Gedanken abzuschütteln und zwang sich an die Zeit nach der Begegnung zu erinnern. Bevor die Tür wieder zuschwang, war er hinein gehuscht und hatte feststellen müssen, dass bis auf die Mauern in diesem Kloster alles weiß war. Kaum ein Unterschied zu der Schneehölle draußen. Aber es war windgeschützt, hatte er sich gesagt und klammerte sich auch jetzt an diesen Gedanken.
Alle waren in weiße Fellkutten gehüllt, wurden eins mit der Einrichtung und verschmolzen mit dem Schnee. Würden sie nicht ab und zu an den Mauern vorbeigehen und sich von dem schwarzen Stein abheben, hätte Halif sie wohl nicht bemerken. Mit seiner schwarzen Kleidung hatte er nicht gedacht, auch nur einen Tag unentdeckt zu bleiben. Die Suche nach weißen Kutten in dem riesigen Klosterschloss war vergebens gewesen. Die Bewohner schienen in ihnen zu schlafen, wenn sie überhaupt schliefen.
Doch bei der Suche war er auf einen Teil des Klosters gestoßen, in denen sich viele Räume mit Betten aneinanderreihten. Die meisten sahen unbewohnt aus. Er hatte sich ein etwas abgelegenes Zimmer ausgesucht, sich, müde wie er war, hingelegt und war sofort eingeschlafen. Er war Tage in dem Schneesturm herumgeirrt und hatte seit Wochen keine Stadt gesehen. Die Reise war anstrengend gewesen und unterwegs hatte sich sein Pferd das Bein gebrochen. Halif hatte es von einer Bauersfamilie „ausgeliehen“. Eine Rückgabe war nicht mehr möglich. Er hatte es zurücklassen müssen.
Als er wieder aufwachte, musste er mit Verwunderung und Glück feststellen, dass ihn auf dem Tisch eine warme Mahlzeit erwartete. Wie sie dorthin gekommen war, interessierte ihn nicht. Sein Magen knurrte und er aß. Auch an jedem weiteren Tag erwartete ihn ein Frühstück. Aber er sah nie jemand kommen oder gehen. Egal wie lange er wach blieb oder wie früh er aufstand. Wenn er die Augen aufschlug, war das Essen immer da. Nach unzähligen Malen hatte er aufgegeben darüber nachzudenken und es einfach hingenommen.
Das Gleiche galt für das Abendessen. Wenn er in sein Zimmer kam, war es da. Egal wie spät er kam, egal wie früh. Es stand da und war immer warm. Er nahm es hin, des Rätselraten müde. Vielleicht fand er ja etwas darüber in der Bibliothek. Halif hatte sie am zweiten Tag entdeckt. Er gewöhnte sich an den Rhythmus von zwei Mahlzeiten am Tag und beschwerte sich nicht. Es hatte Zeiten in seinem Leben gegeben, in denen er Tage lang nichts zu sich genommen hatte. Ein Bett, ein Zimmer für sich, zwei warme Mahlzeiten und eine große Bücherei. Alles was sein Herz begehrte. Wäre da nicht sein Körper, der nach mehr verlangte. Der nach einer Frau verlangte. Vielleicht auch zwei oder drei. Er hatte das Gefühl, dass ihn im Moment zehn Frauen gleichzeitig nicht satt machen würden.
Halif hatte mit Enttäuschung feststellen müsste, dass die Maske hier unnütze war, die er sich durch viel Lesen und Nachdenken zusammengestellt hatte. Die Zeit mit der er seine Hintergrundgeschichte perfektioniert, lückenfrei, glaubwürdige, wasserdicht und stichfest gemacht hat te, war umsonst gewesen. Keiner sprach ihn an, keiner nahm Notiz von ihm. Zum ersten Mal in seinem Leben musste er keine Maske aufrecht erhalten, konnte er selbst sein. Das einzige Problem war, unter all den Masken, die er getragen hatte, war sein wahres Ich verschwunden, wenn es denn je existiert hatte. Die Farben der Schminke waren verwischt, ineinander verlaufen und hatten das bisschen an eigener Identität eingefärbt, die er gehabt zu haben glaubte. Zurück blieb ein dreckiges Braun, zusammengesetzt aus den Resten der Farben, die er benutzt hatte, um jede einzelne Maske zu zeichnen.
Es hatte ihn verwirrt und verunsichert. Also hatte er sich mit dem Einzigen abgelenkt, von dem er wusste, dass er gut darin war:
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