BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
glasigen Augen betrachten sie regungslos diesen Maihimmel. Verständnislos. Unempfänglich für den sanften Wind, der durch ihr Haar fährt, ohne jedes Wiedererkennen des Blütendufts, mit dem die Luft angereichert ist. Für diese Namenlosen brach mitten im Frühling ein eisiger, ewig währender Winter an. Ich kann und will nicht glauben, dass auch Natascha nie mehr die wärmenden Strahlen der Sonne auf ihrer Haut spüren kann.
Bin ich nun Opfer oder Täter? Diese so verrückt klingende Frage frisst sich von Tag zu Tag tiefer in mich hinein, höhlt mich soweit aus, bis ich nur noch ein mit Haut bespanntes Gerippe sein werde.
Ich leide und bin verzweifelt; wie kann ich da etwas anderes als ein Opfer sein? Welcher Mörder wäre schon über seine Tat bekümmert und entsetzt, wünschte gar sehnlichst, dass sie nie geschehen wäre. Nur ein Wahnsinniger könnte grundlos den Menschen töten, den er über alle Maßen liebt. Diese Tatsache überzeugte auch die argwöhnischsten Polizisten. Und doch … Wie sehr ich die Sache auch drehe, der Gedanke an meine eigene Schuld will und will einfach nicht verschwinden.
Trotz der milden nächtlichen Temperaturen durchläuft mich ein Frösteln. Wenn es mir nicht gelingt, meinen Kopf von diesen marternden Vorwürfen zu befreien, werde ich tatsächlich noch wahnsinnig. Viel fehlt nicht mehr; nur noch ein kleiner Schritt. Ich muss mich erinnern, an alles genauestens entsinnen; nur dieses schmerzliche aber reinigende Nachvollziehen der Ereignisse kann meine Sinne entwirren. Nur so kann es mir gelingen, mit meiner Lage fertig zu werden. Vollständig bewältigen werde ich sie wohl niemals.
Das graue Licht der alternden Nacht wird zunehmend grünlich, der laue Wind macht einer unbeweglichen, drückenden Schwüle Platz. Alles verändert sich. Brutal unterdrückt ein wilder, roher Gestank den Duft der Blüten. Nur meine Hände, die sich noch immer eisern um die Fensterbank krallen, vermitteln mir die reale Umgebung der Wohnung, alle anderen Sinne meines Geistes befinden sich längst auf einer Reise zurück durch die Zeit. Zurück zu ihr.
Sie war es, die die Stille durchbrach.
»Sie sind auffallend nervös«, bemerkte sie zum Käfig gewandt. »Sie spürt Ihre Unruhe. Haben Sie etwa Angst vor großen Katzen?«
Statt ihr eine Antwort zu geben, wich ich nun vollends verwirrt einige Schritte zurück. Ich atmete mehrere Male krampfhaft ein und aus, bevor ich die Worte und deren Sinn begreifen konnte. Wie eine aufgestaute Welle überschwemmte mich nun die wiedererwachte Welt der Geräusche. Sie hatte mich also bemerkt, vermutlich schon seit ich das Raubtierhaus betreten hatte. Keine meiner Bewegungen war ihr entgangen; nicht ich hatte sie, sondern sie hatte mich beobachtet. Was bezweckte sie nur mit diesem Katz-und-Maus-Spiel? (In dieser Umgebung ein überaus treffender Vergleich.)
Noch ehe ich meine Gedankenfetzen sinnvoll geordnet hatte, fuhr die fremde Schöne fort, als sei ihre Frage nur rein rhetorischer Natur gewesen: »Schauen Sie sich nur ihr prächtig glänzendes Fell an, wie es bei jeder Bewegung um eine Farbnuance heller oder dunkler wird. Beobachten Sie, wie sich dort die verschiedensten Gelb-, Rot-, ja sogar Blautöne vermischen. Kein noch so stolzer Pfau hätte mehr zu bieten.« Ihre zunehmende Begeisterung war unüberhörbar. »Und dann die Muskeln«, schwärmte sie weiter, »gibt es etwas Schöneres, als ihr geschmeidiges, ästhetisches Spiel beobachten zu können? Das ganze Tier ist eine einzige tänzelnde, weiche Bewegung. Sehen Sie es? Nichts kommt in dieser Hinsicht einer Katze gleich. Ich verstehe nicht, wie eine so vollendete Schönheit abschreckend wirken kann.«
Noch immer drehte sie mir ihren Rücken zu.
»Nein … so ist es nicht«, verteidigte ich mich mühsam, überrascht darüber, meine Stimme wiedergefunden zu haben. »Es ist nicht die Löwin, die mich – sagen wir – beschäftigt. Sie sind es, die–«
»Zweimal falsch!«, unterbrach sie mich.
Endlich wandte sich ihr berauschendes Gesicht mir zu. Die funkelnden Augen hielten mich sofort wieder gefangen. Ein feines, unmerkliches Lächeln umspielte ihre Lippen. Nur einen Wimpernschlag lang. Als sie weitersprach, glaubte ich es mir nur eingebildet zu haben. »Erstens ist ›SIE‹ ein ›ER‹«, wurde ich belehrt, »und zweitens handelt es sich hierbei um keinen Löwen, um keinen reinrassigen zumindest. In seinen Adern fließt zu gleichen Teilen das Blut eines Löwen und einer Tigerin. Diese seltene Kreuzung
Weitere Kostenlose Bücher