Bateman, Colin
sitzen
und lesen, vorausgesetzt, sie sind in der Lage sich zu konzentrieren, während
ich ihnen von der Kasse aus tödliche Blicke zuwerfe. Sicher, man muss sich
schon was einfallen lassen heutzutage, wo Kundenbindung so wichtig ist, aber irgendwo
muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben - schließlich bin ich keine
verfluchte Leihbücherei. Ich neige zu der Auffassung, dass die fein austarierte
Atmosphäre in meinem Buchladen sich irgendwo zwischen dieser
Schnappen-Sie-sich-einen-Stuhl-und-schmökern-Sie-umsonst-in-unseren-Büchern-Stimmung
bei Borders und der eines Leseraums auf Guantanamo-Bay bewegt. Jedenfalls, im
Augenblick war die Sitzecke frei, also bat ich ihn, Platz zu nehmen, und ging
ihm einen Kaffee machen; bei meiner Rückkehr bat ich ihn, mir alles zu
erzählen.
Sein Name war Daniel Trevor,
und er hatte Beale-Feirste-Bücher vor fünfzehn Jahren gemeinsam mit seiner Frau
Rosemary gegründet. Sie hatten zwei Kinder, denen ihre Mutter furchtbar fehlte.
Beale-Feirste-Bücher war seinen Aussagen zufolge ein einigermaßen einträgliches
Geschäft, doch das war nicht der eigentliche Grund für die Existenz des
Verlags; das Ehepaar liebte einfach Bücher, die Künste und Kunstschaffende. Der
Verlag operierte von einem großen Landhaus in der Gegend von County Down aus,
das gleichzeitig eine Art Künstlerrefugium war. Schriftsteller, Maler,
Bildhauer, Komponisten, Dramatiker oder Lyriker konnten sich dort tage- oder
wochenweise zurückziehen, um ungestört zu arbeiten. »Es ist absolut idyllisch«,
seufzte Daniel. »Doch nun ist diese Idylle für immer dahin. Meine geliebte Frau
Rosemary ist verschwunden, und ich weiß nicht mehr, an wen ich mich wenden
soll.«
Bei diesen Worten begann seine
Unterlippe zu zittern. Und obwohl ich noch nie ein Wort mit der jungen Frau aus
dem Juwelierladen gewechselt hatte, wusste ich, dass ich sicher ähnlich
empfinden würde, verschwände sie aus meinem Leben.
»Wann war das?«, fragte ich.
Er schüttelte traurig den
Kopf. »Das ist jetzt neun Monate her.«
Hätte er nicht ohnehin schon
so schrecklich deprimiert gewirkt, wäre mir vermutlich ein »Himmel, haben Sie
sich aber Zeit gelassen« entfahren. Stattdessen erkundigte ich mich mitfühlend:
»Und seitdem keine Nachricht?«
»Nein, gar nichts, keine
Anrufe, keine E-Mails, ihre Kreditkarte ist nicht...« Er holte tief Luft.
»Keine Ahnung, wer mir noch helfen soll. Die Polizei, Interpol... das alles hat
nichts gebracht. Die haben sogar meinen Garten ...«
»... umgegraben«,
vervollständigte ich nachdenklich seinen Satz.
Er nickte. »Aber ich schwöre
bei Gott, ich hab sie nicht... ich könnte niemals... Ich hab sie mehr geliebt
als irgendetwas auf der Welt.«
Nachdem er sich wieder
einigermaßen beruhigt hatte, erklärte er mir, dass er und seine Frau jeden
Herbst nach Deutschland zur Frankfurter Buchmesse gefahren waren. »Es ist eine
große, alte Tradition. Fast jeder Verleger auf der Welt, ob Groß oder Klein,
ist dort vertreten. Wir verhandeln über internationale Rechte und
Lizenzgebühren, es sind fast siebentausend Aussteller aus ... ach, weit über
hundert Ländern vertreten, über eine Viertelmillion Besucher kommen, und doch
begegnet man so vielen vertrauten Gesichtern, es ist fast so was wie ein
Familientreffen.«
Ich nickte bestätigend. Vor
einiger Zeit hatte ich selbst mal eine Art Krimi-Tagung in meinem Buchladen
veranstaltet, ein Wochenende, das aufgrund schlechten Wetters, sportlicher
Großereignisse sowie mangelnder Werbung ebenfalls zu einer familiären
Veranstaltung im wahrsten Sinne des Wortes geriet.
»Unglücklicherweise hatten wir
jedoch dieses Jahr viele Dichter zu Besuch in unserem Landhaus, und man konnte
sie unmöglich sich selbst überlassen - sie hätten sonst vermutlich an den
Kronleuchtern geschaukelt -, daher war es mir unmöglich, zu fahren. Rosemary
musste alleine nach Frankfurt - widerstrebend, denn sie hasst es, von den
Kindern getrennt zu sein. Sie sollte die Rechte an vier unserer
Neuerscheinungen verkaufen, hatte an allen Tagen durchgehend Termine, rief mich
aber jeden Abend zuverlässig an. Obwohl sie dort eine Menge Leute kennt, ist
sie nicht ausgegangen, sondern jeden Abend früh zu Bett, damit sie am nächsten
Tag einen klaren Kopf hatte. Am letzten Abend, an dem ich sie gesprochen habe,
dem vierten Tag der Buchmesse, wirkte sie müde, aber glücklich, die Geschäfte
liefen gut. Doch ich - und ich schäme mich jetzt selbst unendlich dafür - war
ziemlich
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