Bateman, Colin
beiden Kinder sorgen muss. Allerdings, wenn ich es
recht bedenke, liegen mir keine stichhaltigen Beweise vor, dass er tatsächlich
Kinder hat.«
Das entsprach nicht ganz der
Wahrheit, doch ich befand mich in einer verzwickten Lage. Sie durfte nicht herausfinden,
wie ich wirklich war. Wie schon gesagt, normalerweise bin ich eigentlich
ziemlich geradeheraus. Kein Zuckerguss. Aber es gibt Zeiten, da muss man die
bittere Pille einfach ein bisschen versüßen.
»Oh, du musst mir mehr darüber erzählen!«
Also legte ich ihr meine
Hypothesen über den Fall der jüdischen Musikanten dar.
Nachdem ich geendet hatte,
rief sie aus: »Mann, du hast die Geduld eines Heiligen! Ich hätte ihn schon vor
Monaten rausgeschmissen! Hätte er nur einen Funken Liebe für seine Frau übrig,
wäre er längst selbst nach Deutschland gereist, um sie zu suchen. Was? Dieser
Kerl hat echt keine Lust, mal aus Nordirland rauszukommen? Er redet nicht gerne
mit Fremden? Er hat Angst vor weiten offenen Plätzen? Sein Rücken tut ihm weh?
Oh. was für ein erbärmlicher, kleiner Wichser.« Hilflos zuckte ich die Achseln.
»Allerdings«, fügte sie nach
einem weiteren Schluck Cinnamon Dolce Frappuccino hinzu, »dieser deutsche
Verleger...«
»Manfred. Ja, das ist schon ein ziemlicher Zufall.«
»Und dann die Geschichte von Anna - wie war noch
gleich ihr Name?«
»Anne Radek...«
»Radek... das ist schon ziemlich bemerkenswert.«
»Ja, stimmt. Wenn sie denn
wahr ist. Daniel könnte sich da ebenso gut was zusammenspinnen.«
»Na ja, ich nehme an, das
könntest du jederzeit nachprüfen? Sie lebt doch noch, oder?«
»Angeblich ist sie ziemlich
krank, aber sie lebt noch, ja.«
»Vielleicht könntest du den Fall der jüdischen Musikanten lösen,
wenn du mit der Musikantin selbst sprichst. Zumindest kannst du so klären, ob
diese Geschichte irgendwie von Bedeutung ist.«
»Ich weiß nicht, ob das angemessen wäre.«
»Warum sollte es nicht angemessen sein?«
Keine Ahnung. Mal abgesehen
natürlich von der Tatsache, dass ich nicht gerne mit Fremden rede - und mit
alten Leuten schon gar nicht. Ich möchte nicht brüllen müssen, um mich
verständlich zu machen. Ich mag ihre saure Kaffeesahne und ihre pappigen Kekse
nicht. Ich verabscheue ihre fischigen Katzen und ihr Raumspray, das nach
Mottenkugeln stinkt. Es stört mich, dass sie jedesmal stöhnen, wenn sie
aufstehen oder sich setzen, dass sie ihren Fernseher so laut aufdrehen und
ständig über das Programm meckern, oder dass sie damit angeben, noch ihre
eigenen Zähne zu haben oder fließend buchstabieren zu können, obwohl sie schon
neunundachtzig sind. Meiner Ansicht nach tun die Eskimos genau das Richtige,
wenn sie ihre nutzlosen Großeltern auf einer Eisscholle aussetzen und ihnen zum
Abschied zuwinken. Ich hoffe, die Eskimos fühlen sich deswegen nicht auf den
Schlips getreten. Es könnte natürlich ebenso gut irgendein anderer Stamm mit
Zugang zu großen Mengen schwimmendem Eis sein oder einfach nur zu offenem
Wasser, das dafür zufälligerweise von Krokodilen bevölkert ist.
Doch derartige Gedanken konnte
ich Alison natürlich unmöglich anvertrauen, aus leicht nachvollziehbaren
Gründen.
»Es wäre möglicherweise ein
Fehler, ihn in seinen Wahnvorstellungen zu bestärken.«
»Und wenn es gar keine
Fantasien sind? Ich meine, selbst Paranoide haben Feinde.«
Der Punkt ging eindeutig an
sie. Ich hatte Hunderte davon.
»Außerdem würde ich die alte
Dame gerne kennenlernen.«
»Warum das?«
»Weil sie sicher ein sehr
inspirierender Mensch ist. Und vielleicht könnte ich eine Graphic Novel über
ihr Leben verfassen.«
»Ich dachte, du nennst sie
nicht Graphic Novels ...«
»Ach, ich wollte nur diesen Wichser
ein bisschen ärgern. Hast du jemals Maus gelesen?«
»Maus? Ist das ein Krimi? Denn das
ist mein Spezialgebiet ...«
»Es geht in dem Buch zwar um
sechs Millionen Ermordete, aber es ist trotzdem kein Krimi. Maus ist eine Graphic Novel von
Art Spiegelman. Sie ist fantastisch. Es geht um Auschwitz. Nur hat er keine
Menschen gezeichnet, sondern die Juden als Mäuse und die Nazis als Katzen.«
»Tatsächlich?«
Sie lächelte. »Das Buch ist
besser, als es klingt. Echt bewegend. Ich leih es dir mal.« Mir gefiel, wie
sich das anhörte. Mir gefiel der Gedanke an uns.
Es war, als würde man ein
Stück Stoff an ein anderes nähen. Anfänglich unterscheiden sie sich deutlich
voneinander, doch dann bauen sie langsam eine Beziehung auf, bis sie eine
untrennbare Einheit
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