Bator, Joanna
den
Vater, der Walbrzycher Gymnasiasten die Prinzipien lateinischer Deklinationen
eintrichtert, und die Mutter, die über die Tomaten lamentiert, die ein Spott
der echten, geruchlos und nichts als Wasser sind, bleibt der lange schmale
Landzipfel im Mittelmeer der schönste Ort der Welt. Sie wissen nicht, dass
diese Sehnsucht, kristallisiert in fertigen Bildern, die den Kindern wie süße
Götterspeisenwürfel verabreicht werden können, sie zu Glückspilzen im Vergleich
zu den meisten Einwohnern dieser Stadt macht, deren Vaterland entweder nicht
mehr existiert oder die nie eines hatten. Diese Überzeugung, dass es einen Ort
gibt, der besser ist als Walbrzych, und dass Dimitri dorthin gehört, ist wie
ein Rückgrat, das sich sogar von Magister Demon nur mit äußerster Mühe brechen
ließe. Der Junge betrachtet die Welt wie vom Deck eines Schiffes, wo er
Ausschau nach dem gelobten Land am Horizont hält, und macht die Lehrerin, deren
Horizonte eng sind, damit ganz nervös. Dimitri ist immer in Bewegung, er hüpft
und dreht sich wie ein Kreisel, baut aus Klötzen komplizierte Festungen und wirft
sie ohne Bedauern wieder um, er kippt Tinte aus und zerbricht Kugelschreiber,
und wenn er aufgerufen wird, dreht er sich um seine eigene Achse und bekommt
eine Fünf, bevor er überhaupt Antwort geben konnte. Es gefällt ihm nicht, dass
er mit einer von den Weibern in der Bank sitzen muss, doch wenigstens erinnert
sie ihn an seine Mutter und seine Schwester, ihre Haut ist bräunlich, ihre
Augen glänzen wie frische Kastanien, er stößt sie mit dem Ellbogen an, als
wollte er ihr den Platz streitig machen, lächelt aber und zeigt seine schiefen,
sehr weißen Zähne. Dominika geht nach der Schule zu Oma Kolomotive in
Szczawienko, wo Jadzia sie nach der Arbeit abholt; so hat sie den gleichen Weg
wie Dimitri, der hinter ihr hergerannt kommt, dass die Reflektoren an seinem
Schulranzen klappern. Er fragt sie, ob sie Rachatlukum mag, wenn ja, wird er
ihr morgen welches mitbringen. Dominika hat keine Ahnung, was Rachatlukum ist,
sie denkt dabei an Drachen und Dachluken, doch ihr Kindergartenjahr in der
Rolle des Hundes Szarik, der auf Befehl von Marusia oder Janek apportieren und
bellen musste, hat sie gelehrt, dass die selbstlose Freundlichkeit eines
anderes Kindes etwas Kostbares und Seltenes ist. Deshalb sagt sie Ja, sie mag
es, ein Lächeln breitet sich über ihr Gesicht und sie spricht das Wort nach:
Rachatlukum. Rachatlukum, dieses Wort hat Dimitri von seinem Vater gelernt, der
in einem alten polnischen Wörterbuch die Entsprechung für den griechischen
Namen der klebrigen Masse aus Nüssen und Fruchtsaft gefunden hat. Weißt du, wie
sie unser Loukoumades nennen? hatte er lachend seiner Frau Maria zugerufen,
die gerade dabei war, Paprika zu schneiden, aber was sind das für Paprika,
solche Magerlinge ohne Saft, dass einem die Tränen kommen möchten. Wenn sie
bloß endlich nach Hause zurückkehren, dann werden sie alle wieder wissen, wie
Paprika schmeckt. Rachatlukum, Professor Angelopoulos murmelte das neue Wort
ein paar Mal in seinen Schnurrbart, ohne zu wissen, dass er zum Sammler von
Wörtern geworden war, die niemand in Walbrzych benutzte, weil sie in einer
Wirklichkeit der großen Provisorien unbrauchbar wurden. Der Grieche schrieb sie
in sein Notizbuch unter Etagere, Sacvoyage und Legumine, und seine Schüler mit
ihren schmallippigen scheißfreundlichen Visagen krümmten sich vor Lachen.
Dominika und Dimitri gehen den
Sandberg hinunter, zuerst durch die schmalen Siedlungsstraßen, dann über einen
Pfad zwischen wildem Holunder und Krüppelbirken, leeren Flaschen, alten Eimern
und Schüsseln, angekohlten Lumpen, die aussehen wie schlafende Gestalten und es
manchmal auch sind. Niemand weiß, woher dieser Abfall kommt, denn in den Blocks
gibt es Müllschlucker, und man braucht nichts mehr in den Wald zu schmeißen wie
damals auf dem Dorf. Ohne Rücksicht auf das, was die weggeworfenen Gegenstände
oder kaum noch lebendigen Wesen einst waren, hier zerfallen sie allmählich zu
Sand, Scheiße oder Schlamm. In dem Niemandsland, das die Hiesigen einfach
»Busch« nennen, zwischen der neuen Siedlung dort oben und der alten, ehemals
deutschen unten, finden oft Saufgelage im Stehen oder Sitzen statt, veranstaltet
von den Männern, die mit dem Autobus von der Grube kommen. Die Augen der
Trinker sind von Kohlestaub schwarz umzeichnet, ihre Wangen leuchten rot. Sie
langen in ihre Kunstledertaschen, in die Innentaschen der Jacken. Bevor
Weitere Kostenlose Bücher