BattleTech 09: Ein Erbe für den Drachen
Er mißbrauchte dieses Privileg niemals und war äußerst umsichtig in bezug auf ihre soziale Stellung, die weit über seiner eigenen rangierte.
In der Nachricht hatte es geheißen, daß sie mit Florimel Kurita, ihrer Großtante und der Wahrerin der Ehre des Hauses, zusammentreffen würde. Constance glaubte den wahren Urheber des Rufs zu kennen.
Die Wahrerin war der Hüter aller religiösen, ideologisehen und sozialen Codizes des Kombinats. Ihrer Obhut unterlag das Dictum Honorium, eine detaillierte und komplizierte Sammlung von Konventionen und Axiomen, die ursprünglich im Jahre 2334 von Omi Kurita, der Tochter von Shiro, dem ersten Koordinator des Draconis-Kombinats, zusammengetragen worden war. Ganz wie die ›Haus Codizes‹ der Samurai im alten Japan legte das Dictum die Richtlinien für das korrekte Betragen und Verhalten der Mitglieder der Kuritafamilie fest. Die Jahrhunderte hatten dieses Dokument mit der Weisheit und manchmal auch mit den Narreteien der Koordinatoren und Wahrerinnen vergrößert. Als Hüterin dieses Dokuments und ausgestattet mit der letzten Autorität über seinen Inhalt war die Wahrerin der Ehre des Hauses eine mächtige Gestalt in der Kuritagesellschaft und übte eine signifikante Kontrollfunktion über das Amt des Koordinators aus. Als Bestandteil dieser Kontrollfunktion gebot die Wahrerin über den mächtigen Orden der Fünf Säulen, der allgemein unter der Bezeichnung O5S bekannt war.
Constance hatte sich dem Orden nach Abschluß der höheren Schule angeschlossen, als sie ihr Geschlecht von einer weiterführenden förmlichen Ausbildung ausgeschlossen hatte. Sie wußte, daß der O5S zum Teil ein lehrender Orden war. Diejenigen, die lehren, so hatte sie gefolgert, müssen über das Wissen verfügen, das sie weitergeben. Ihr Entschluß hatte ihren Vater, Marcus Kurita, zum Handeln bewegt. Er hatte alles in die Wege geleitet, um sie von einem der besten Anwälte des Kombinats in Rechtswissenschaften ausbilden zu lassen, in der Hoffnung, sie würde den Orden verlassen, um nach dem Köder des Wissens zu schnappen, den er ihr anbot. Sie hatte ihren Ausbilder akzeptiert, war aber dem Orden treu geblieben und träumte davon, in den ehrenvollen Rang einer Jukurensha aufzusteigen. Nachdem er geschworen hatte, daß seine Tochter nicht als mittellose Lehrerin durch die Kombinatsprovinz ziehen würde, benutzte Marcus seinen Einfluß als Kriegsherr des Distrikts Rasalhaag, um die Meister des O5S dazu zu überreden, sie auf Luthien zu behalten, wo er sie dann bei seinen Besuchen auf dem Regierungsplaneten sehen konnte.
Constance hatte sich damit leichten Herzens abgefunden, da sie nicht sonderlich von der Idee begeistert war, die Annehmlichkeiten des höfischen Lebens aufzugeben. Ihr war außerdem klar, daß sie die Laufbahn eines Adepten um so eher einschlagen konnte, je näher sie dem Zentrum von Macht und Weisheit war.
Constances Überlegungen wurden unterbrochen, als die Tür aufglitt und den Blick auf Shudocho Devlin Oda freigab, dessen Gestalt von den Lampen des Flures beleuchtet wurde. Oda schloß die Tür und ging schweigend zu den Matten an der Ostwand, wo er sich vor einem kleinen Schrein verbeugte, der von einem weichen Licht erhellt wurde, das durch die Siiqli-Wände des Flurs fiel. Der Schrein stand in der alten Ryuboshinto- Tradition und bestand aus einem vergoldeten Kästchen, in das kunstvoll dekorative symbolische Motive geschnitzt waren. Das Kästchen stand auf einem Sockel aus Elfenbein, der in die gewundene Gestalt des Kuritadrachen geschnitzt war. Darum herum standen fünf Kerzenleuchter, jeder davon aus einem unterschiedlichen Material: Gold, Elfenbein, Stahl, Teakholz und Jade. Jedes Material symbolisierte eine der fünf Säulen, die die Kuritagesellschaft stützten.
Der Shudocho zündete nacheinander die fünf Wachskerzen in den Leuchtern an, als letzte die Säule aus Elfenbein, was Constance als Zeichen begriff. Elfenbein symbolisierte Religion und Philosophie, das Reich des O5S selbst.
Oda kniete Constance gegenüber nieder. Obwohl sie vor Neugier schier platzte, sagte sie nichts, denn der Shudocho gab keinerlei Zeichen, daß es gestattet war zu reden. Als Constance in Richtung des niedrigen Podiums am Nordende des Raumes schaute, sah sie Florimel dort sitzen. Irgendwann hatte die alte Wahrerin lautlos ihren Platz eingenommen.
Die Wahrerin war mit einem blumenbedruckten vorschriftsmäßigen Kimono bekleidet, dessen Farben in angemessener Form vom Frühling kündeten.
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