BattleTech 14: Jade Phoenix-Trilogie II - Blutrecht
sagte Lenore Shi-Lu, die Inquisitorin, mit volltönender Stimme. Aidan fand sie weit beeindruckender als Beck Qwabes recht dünnen Tenor, besonders, wenn man den Größenunterschied der beiden Gerichtsfunktionäre mit in Betracht zog. Lenore Shi-Lu war ebenso zart und hübsch wie Beck Qwabe wuchtig und häßlich. Wie bei Beck Qwabe entdeckte Aidan in ihren Augen Ähnlichkeit mit denen eines Falken. Und auch in dieser Hinsicht war der Unterschied immens. Shi-Lus Augen waren nicht sanft wie die Qwabes. Sie hatte die Augen eines Jagdfalken, Augen wie die Warhawks, des Falken, den Aidan in seiner Jugendzeit besessen hatte.
»Mech-Krieger Hengst«, sagte sie. »Das kann nicht dein wahrer Name sein.«
»Isser auch nicht«, antwortete Hengst. »Ich benutze meinen wahren Namen nich.« Die Worte waren mit leiser Stimme gesprochen, aber sie hallten durch den riesigen Saal.
Beim Klang seiner Antwort ging ein Schaudern durch die Zuhörer, nicht nur aufgrund seiner Sprache, sondern auch wegen des angedeuteten Widerspruchs. Trotzreaktionen eines Freigeborenen wurden bei offiziellen Zeremonien nicht geduldet. Die meisten Krieger in diesem Saal hatten kaum Kontakt mit freigeborenen Kriegern.
»Sei es, wie es mag«, stellte Lenore Shi-Lu mit merklicher Verachtung für den Freigeborenen in ihrer Stentorstimme fest, »aber dies ist ein offizielles Verfahren, und bei offiziellen Verfahren gelten offizielle Unterlagen. Du mußt uns den Namen mitteilen, unter dem du geboren wurdest. Komm schon, Mech-Krieger, keine Verzögerungen. Wir können ihn ohnehin aus deinem Kodax erfahren.«
Hengst nickte. Er wußte, daß die Inquisitorin den Namen bereits kannte und nur wollte, daß er ihn aussprach. »Tyle. Mein wahrer Name ist Tyle. Ich wurde nach meinem Vater genannt.«
Das Wort ›Vater‹ löste unter den Zuhörern Unruhe aus, denn es war eine Erinnerung an die widerliche Herkunft eines Freigeborenen. Genvater oder Genmutter waren ehrbare Bezeichnungen, aber die nackten Begriffe ›Vater‹ und ›Mutter‹ waren so obszön, daß sie nicht einmal als Fluch benutzt wurden.
»Danke«, antwortete die Inquisitorin zufrieden und stellte Hengst eine Reihe von Fragen, die Aidans Beteiligung in der Freigeborenen-Ausbildungseinheit betrafen. Sie gestattete ihm, den Test zu beschreiben, bei dem er und Aidan zusammengearbeitet hatten, um zwei gegnerische BattleMechs zu besiegen und den Kriegerstatus zu erwerben.
»Und du warst dir zu diesem Zeitpunkt bewußt, daß dieser Aidan — oder Jorge, wie du ihn kanntest — bereits bei einem früheren Test durchgefallen war?«
»Er hat es mir gesagt, ja.«
»Dann muß dir auch klar sein, daß deine Qualifikation zum Krieger das Ergebnis eines Betruges war.«
»Nein, das ist mir keineswegs klar. Ich hätte mich mit oder ohne Hilfe qualifiziert. Ich bin genausogut wie jeder wahrgeborene Krieger.«
Wären im Konklavesaal Waffen gestattet gewesen, Hengst wäre das Opfer einer Salve von Schüssen von den Rängen geworden.
»Es scheint«, stellte Lenore Shi-Lu halb zum wütenden Publikum gewandt fest, »daß Sterncommander Aidans Arroganz und Widerspruchsgeist auf dich abgefärbt haben, Krieger. Ich erinnere dich daran, daß dies ein offizielles Verfahren ist und jede Verletzung der Clansitten in deinem Kodax festgehalten wird.«
»Weiß ich.«
»Und es ist dir gleichgültig?«
»Und ob.«
Lenore Shi-Lu nickte und sah sich zum Lehrmeister um, dessen Geste ihr bedeutete, das Verhör abzuschließen.
»Eine letzte Frage, Mech-Krieger Tyle.«
»Hengst. Ich bin es nicht gewohnt, auf den Namen Tyle zu antworten.«
»Du wirst auf jeden Namen antworten, mit dem ich und das Konklave dich ansprechen, Freigeborener. Meine Frage, Mech-Krieger Tyle, lautet: Sollte ein Krieger, der seinen Status durch Betrug erworben hat, die Erlaubnis erhalten, sich um einen ehrenvollen Blutnamen zu bewerben?«
»Is' für mich kein Hindernis nich.« Hengsts grammatikalisch falscher Satzbau in Verbindung mit seiner schludrigen Aussprache löste unter den Clannern beinahe gewalttätige Reaktionen aus. »Aidan hat besser gekämpft und war ein fairerer Offizier als jeder Wahrgeborene, den ich je getroffen habe.«
Der Lehrmeister bedeutete Lenore Shi-Lu erneut, die Befragung zu beenden. Sie schien erfreut, ihm mitteilen zu können, daß sie keine weiteren Fragen hatte.
Anschließend führte Beck Qwabe ein kurzes Verhör mit Hengst durch, in dem er deutlich machen wollte, daß Aidan den Respekt seiner Krieger besaß und besonders im Kampf um das
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