BattleTech 35: Höhenflug
zweite... ähem, Teilnehmer ist verhindert«, stellte er mit glatter Stimme fest. »Dr. Macintyre ist unabkömmlich, hat mir aber aufgetragen, ohne ihn fortzufahren.«
Sam blinzelte überrascht. Dr. Macintyre? Konnte das der Ernest Macintyre sein, den sie bei ihrem ersten Krankenbesuch bei Pop-Pop kennengelernt hatte?
Wenn man bedenkt, was Pop-Pop über Macintyres Kindheit erzählt hat, ergäbe das einen Sinn. Oder?
Sie erhielt keine Gelegenheit, weiter darüber nachzugrübeln. Die Wasserstoffblondine aus der Rezeption trat ins Büro und schloß die Tür. Sie setzte sich auf den abseits gerückten Stuhl, klappte einen altertümlichen Stenoblock auf und spitzte ihren Bleistift.
Kerr zog eine andere Schublade auf und holte einen dünnen Stapel Papiere hervor, die er vor sich ausbreitete. Er sah sie ein paar Sekunden lang durch, dann hob er den Kopf und fixierte Sam mit scharfem Blick. »Der Zweck dieser Unterredung ist die Verlesung des Letzten Willens und Testaments des Mr. James R. Dooley Senior«, stellte er mit perfekter Artikulation fest, als stünde er auf einer Bühne. »Im Anschluß stehe ich Ihnen für alle Fragen zur Verfügung, die Sie noch haben - im Rahmen meiner Fähigkeiten, versteht sich.« Sein dünnes Lächeln ließ keinen Zweifel daran, für wie unwahrscheinlich er eine Frage hielt, die über seine Fähigkeiten hinausging. »Darf ich fortfahren?«
»Bitte.« Sam rutschte auf dem harten Stuhl umher und suchte nach der am wenigsten unbequemen Position.
Die selbstgefällig klingenden juristischen Phrasen zogen an ihr vorbei, als Morton Kerr mit langsamer, präziser Aussprache vorlas. Als sie sich einmal an den Stil und Rhythmus der Sprache gewöhnt hatte, stellte sie fest, daß sie nicht jedes Wort zu verstehen brauchte. Statt dessen zog sie eine Art Summe aus dem Vortrag - eine Essenz der legalistischen Sprachungetüme, die deren Bedeutung auf ein paar Kernpunkte reduzierte. (Warum schreiben Anwälte nicht von vornherein so? fragte sie sich nach einer Weile. Natürlich könnte es durchaus sein, daß wir irgendwann auf den Gedanken kämen, ihre hochherrschaftliche Rechtspriesterschaft gar nicht zu benötigen, wenn sie das täten.)
Es lief darauf hinaus, daß nahezu alles ihr gehörte
- zumindest war das ihre Interpretation. Ein Treuhandfonds, den Pop-Pop zwanzig Jahre zuvor eingerichtet hatte, ging an einen Dr. Ernest Macintyre aus Ontario, Kalifornien. (Sam fragte sich beiläufig, wie groß die Geldsumme auf dem Konto wohl war, aber sie wußte, daß es keinen Sinn hatte, den Anwalt danach zu fragen. Rechtsanwälte sind zu diskret, um ihre linke Hand wissen zu lassen, was die rechte tut, erinnerte sie sich und unterdrückte ein Grinsen.) Dr. Macintyre erhielt auch Pop-Pops roten Jensen Interceptor III.
Als er diesen Satz vorlas, warf Kerr Sam einen fragenden Blick unter seinen dunklen Augenbrauen zu, fast, als erwarte er einen Einwand. Sie lächelte nur. Pop-Pop wußte, wie ich über den Wagen denke. Er ist für mich nur deshalb von Interesse, weil PopPop ihn so liebte. Vielleicht kommt ja irgendwann mal der Tag, an dem die britischen Sportwagenhersteller herausfinden, wie man eine funktionierende Lichtmaschine baut. Ihr Grinsen bekam einen schelmischen Touch. Ich hoffe, Macintyre hat keine Einwände gegen ein positivgeerdetes System und hat Spaß daran herumzurätseln, was, zum Teufel, ein weiß-violett gestreifter Draht sein soll...
Ein ganzer Abschnitt des Testaments war Jim Dooleys Erinnerungsstücken gewidmet, eine äußerst detaillierte und möglicherweise vollständige Liste. Abgesehen von zwei für Samantha vorgesehenen Familienfotos ging der gesamte Rest - Modelle, Auszeichnungen, Souvenirs, Fotografien und ›andere Bilder‹ - an ein sogenanntes Museum of Flight in der kleinen Ortschaft Rogers, Kalifornien. Das ließ Sam skeptisch eine Augenbraue hochziehen, aber sie sagte nichts, auch nicht, als Kerr ihr erneut einen fragenden Blick zuwarf. Sie hätte die Erinnerungsstücke ihres Großvaters gerne selbst behalten - besonders die aus der ›inneren Bibliothek und ganz besonders das Foto von Pop-Pop mit Amelia Earhart - aber ihre Enttäuschung war nicht so groß, daß sie ein Bedürfnis verspürte, Jims Letzten Willen anzufechten. Er mußte gewußt haben, daß Sam eine sentimentale Bindung an seine Souvenirsammlung entwickeln würde; aber er hatte sie ausdrücklich dem Museum hinterlassen. Offensichtlich hatte das RogersFliegermuseum ihm viel bedeutet, auch wenn Sam noch nie etwas
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