BattleTech 44: Falke im Aufwind
Schwäche Samanthas war, daß sie Clan-Konklaven ebenso wenig ausstehen konnte wie alle sonstigen förmlichen Gelegenheiten. Die Stahlvipern waren in ihrem Festhalten an Grundsätzen und Gebräuchen der Clans ebenso starr wie die Nebelparder, und was ihre entnervende Hartnäckigkeit betraf, waren sie diesen sogar noch voraus.
Zalman machte eine kurze Pause und sah zu Marthe hoch, eine offensichtliche Einladung, ihn mit einem wütenden Protest zu unterbrechen. Aber jeder derartige Ausbruch wäre vom Lehrmeister gerügt worden, da Zalman das Wort erbeten hatte und nicht unterbrochen werden durfte, bis er zum Ende gekommen war. Marthe entschied sich, nicht auf diesen Trick hereinzufallen, obwohl Zalman durchaus richtig lag, wenn er annahm, daß ihr eine zornige Entgegnung auf der Zunge lag. Mit jeder Faser ihres Körpers wollte sie über die Marmorplatte springen und sich wie ein mächtiger Falke auf die Stahlviper hinabstürzen.
Was für eine seltsame Vorstellung. In dieser schweren Robe könnte ich kaum auf den Tisch klettern, geschweige denn, über ihn hinwegspringen!
Zalman mußte am dünnen Strich ihrer Lippen gesehen haben, daß sie stumm bleiben würde, denn er sprach weiter. Er breitete die Arme aus, als wolle er alle Khane in seine Einschätzung einschließen, und erklärte: »Ich beantrage, daß das Große Konklave eine formelle Rüge für Khanin Marthe Pryde beschließt, als Strafe für deren Verletzung der ClanTradition, indem sie der freigeborenen MechKriegerin Diana gestattete, an einem Blutrecht teilzunehmen.«
Der Lärm, der diesem Antrag von den Rängen der Bewahrer- und Kreuzritter-Clans gleichermaßen folgte, zeigte, daß noch andere Khane Zalman zustimmten. Samantha sprang auf, und ihre laute Stimme war über dem Murren der versammelten Khane deutlich zu hören, als sie schrie: »Stravags! Der Jadefalkenclan hat das Recht...«
Marthe packte Samanthas Arm und zog sie zurück auf ihren Platz. Die saKhanin drehte sich mit funkelnden Augen zu ihr um und fragte: »Warum hast du das getan?«
»Du wolltest erklären, die einzige Möglichkeit für einen anderen Clan, unsere Entscheidung über Diana anzufechten, bestünde darin, uns zum Test zu fordern.«
»Natürlich wollte ich das. So ist es ja auch.« »Aber das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ratsam. Sie wollen, daß wir die Herausforderung anbieten, damit wir zugleich schwach und im Unrecht erscheinen. Wir müssen abwarten.« Marthe war sich sicher, daß der Tag des Kampfes gegen die Stahlvipern kommen würde. Aber wenn es soweit war, würden sie sich auf dem Schlachtfeld gegenübertreten, nicht in einem Kreis der Gleichen. Und erst, wenn sie den Zeitpunkt für gekommen hielt.
Als die Unruhe sich gelegt hatte, sprach Lehrmeister Pershaw. Sein Ton war formell, aber die Stimme, die aus einer elektronischen Apparatur an seiner Kehle drang, klang beinahe körperlos. Pershaw fragte Khan Zalman, ob er bereit wäre, das Wort einem der anderen Khane zu überlassen, die nach Gehör verlangten.
Perigard setzte sich, und Marthe hörte schweigend zu, wie ein Khan nach dem anderen entweder seinen Widerwillen gegenüber Marthes Verhätschelung der Freigeborenen ausdrückte oder ihre Anstrengungen unterstützte, die Jadefalken mit allen verfügbaren Mitteln zu stärken, egal ob orthodox oder unorthodox. Der einzige Khan, der sich nicht zu Wort meldete, war Vlad Ward von den Wölfen. Marthe war sich nicht sicher, warum er sich zurückhielt, aber dann wurde ihr klar, daß er sich in diesem Punkt wahrscheinlich verletzbar fühlte. Vor vielen Jahren war es einem Leibeigenen aus der Inneren Sphäre namens Phelan Kell gelungen, trotz seiner Herkunft als Freigeborener einen Blutnamen zu erringen. Der Leibeigene war nicht nur zu Phelan Ward geworden, er hatte es bis zum Khan des Wolfsclans gebracht.
Jetzt war Phelan Ward in die Innere Sphäre zurückgekehrt. In den Augen der Clanner war er ein Verräter, der die Wölfe gespalten und so viele von ihnen mitgenommen hatte, daß der Clan daran fast untergegangen wäre. Es hatte Vlad Ward viel strategisches Können und politische Anstrengung gekostet, Clan Wolf neu zu etablieren. Er konnte es sich nicht leisten, sich durch den Anschein, Dianas Streben nach einem Blutnamen zu unterstützen, Angriffen auszusetzen. Doch zugleich hatte er sich in Marthes politischem Leben als ihr vorläufiger Verbündeter und in ihrem Privatleben als ihr Sexualpartner etabliert. Sie paarten sich nicht oft - Marthe vermutete, daß es nur
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