Battletech 45: Gefaehrlicher Ehrgeiz
hatte niemand sonst sich den Marshal zur Brust genommen?
Als sie die Antwort erkannte, machte deren simple Klarheit ihr beinahe Angst. Kein anderer hatte auf den Marshal gefeuert, genau wie niemand sonst das Feuer auf den Whitworth eröffnet hatte, weil sie ihn angegriffen hatte. Sie erinnerte sich an die GefechtsROMs der Kämpfe, die ihr Bruder während der Clan-Invasion ausgetragen hatte, und sogar an ein paar ältere Aufzeichnungen aus den MechKriegertagen ihrer Mutter. Wie oft war Cassandra dabei nicht aufgefallen, daß andere MechKrieger sich geweigert hatten, Kai oder Candace zu Hilfe zu kommen, weil sie überzeugt waren, sie wären dem Gegner allein gewachsen und würden ihnen die Einmischung womöglich sogar übelnehmen? Ein hohes Lob, hatte sie damals gedacht.
Der Marshal kam den Hügel herauf. Sein Pilot versuchte sichtlich, in ihren Rücken zu gelangen. Cassandra drehte den Cestus und schwenkte den Torso zurück in die Frontale, während sie einen Seitschritt ausführte, um ihrem Gegner zuvorzukommen. Es war eine Hilfe, daß der andere Mech bergauf mußte. Dadurch erhielt sie eine Zielerfassung, gerade als die Schultern des Marshal den schmalen Kamm erreichten, auf dem sie stand. Er war jetzt nahe genug heran, so daß sie die Insignien der Füsiliere und die Markierungen erkennen konnte, die seinen Piloten als Kompanieführer kennzeichneten. Im Duell mit dem kampferfahrensten Gegner im Feld. Na dann, Cassandra. Du wolltest doch sehen, wie gut du bist. Hier ist deine Chance.
Smaragdgrünes Licht zuckte aus dem rechten Armlaser und dem mittelschweren Impulslaser im Torso des canopischen Marshal. Beide Schüsse trafen. Der schwere Lichtwerfer verdampfte den Rest ihrer rechten Seitenpanzerung, und der M-Laser fraß sich in den bis dahin unbeschädigten rechten Arm. Gleichzeitig schlug der canopische MechKrieger in einer Sensenbewegung mit dem linken Arm seiner Kampfmaschine nach den Beinen des Cestus, um ihn auf dem unebenen Gelände zu Fall zu bringen. Aber bevor der Schwinger landen konnte, schlug Cassandra hart zurück.
Auf diese extrem kurze Distanz verfehlte ihr Gaussgeschütz das Ziel, aber das war auch alles. Die schweren Laser der Paktmaschine bohrten sich auf beiden Seiten in den wuchtigen Torso des Marshal, während die mittelschweren Waffen sich Arm und Bein der rechten Seite vornahmen. Rubinroter Widerschein erhellte die Nacht, als die Metallkeramik unter der enormen Hitze zerschmolz oder sauber von der Halterung geschnitten wurde. Lodernde Metallbrocken stürzten zu Boden. Na, wie war das?
Cassandra fühlte den Aufprall und hörte das Knirschen zermalmter Panzerung, als der Arm des Marshal gegen ihr Mechbein schlug. Sie hatte keine Mühe, das Gleichgewicht zu halten, und erwiderte den Angriff mit einem kräftigen Tritt. Myomermuskeln, die stark genug waren, einen Kampfkoloß von fünfundsechzig Tonnen zu tragen, stießen das Bein mit gewaltiger Kraft nach vorne. Der schlanke Fuß des Cestus krachte in die rechte Seite des Marshal und löste einen Funkenregen aus, als er durch die verbliebene Panzerung ins Torsoinnere brach.
In den Lautsprechern des Neurohelms überlagerten sich mehrere Stimmen, als die Lanciers abgeschossene oder kampfunfähig gemachte Feindmaschinen meldeten. Soweit sie es feststellen konnte, hatte ihre Einheit bis jetzt nur einen Mech verloren, einen Totschläger, der ein Bein verloren hatte. Das ließ sich leicht genug reparieren. Dann zog sich der Marshal etwas zurück und senkte die Arme, und sie empfing von starkem Rauschen überlagerte Bruchstücke eines Funkspruchs. »...für Rückzug und Heimführung...«
Der Kommandeur der canopischen Patrouille erkundigte sich nach den Kapitulationsbedingungen. Aber es gab keine, konnte keine geben, und beinahe hätte Cassandra das Feuer auf ihren beständig zurückweichenden Gegner eröffnet.
»Frakes«, rief sie über die zerhackte Befehlsleitung. »Senken Sie die Störleistung weit genug, um mir ein Gespräch mit dem Marshal zu ermöglichen.« Sie wartete mehrere Sekunden, dann versuchte sie es mit einem offenen Funkspruch über eine allgemeine Frequenz »Hier Majorin Cassandra Allard-Liao. Können Sie mich hören?«
Die Antwort kam leise und stark gestört, aber verständlich. Die Stimme war erkennbar weiblich. »Gerade so eben. Welche Lösegeldforderungen stellen Sie für die Erlaubnis, meine Einheit zurückziehen zu dürfen?«
Cassandra zögerte mehrere Sekunden, so überrascht war sie, es nicht mit einem Mann zu tun zu haben.
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