Baudolino - Eco, U: Baudolino
abwuschen, einige Tage der frischen Luft aussetzten, sie bekleideten und wieder in ihre Nischen stellten, auf dass die in gewisser Weise balsamische Luft dieser Umgebung sie ihrer gleichsam geräucherten Unsterblichkeit übergebe.«
Während sie weiterschritten, vorbei an jener langen Reihe verstorbener Mönche, alle mit liturgischen Gewändern bekleidet, als müssten sie noch ihres Amtes walten, funkelnde Ikonen küssend mit ihren fahlen Lippen, entdeckten sie Gesichter mit verzerrtem und asketischem Lächeln, andere, denen die Pietät der Weiterlebenden Bärte angeklebt hatte, so dass sie würdig wie einst erschienen, und deren Lider geschlossen waren, so dass sie zu schlafen schienen, wieder andere, bei denen der Kopf zu einem Totenschädel reduziert war, aber mit ledrigen Hautfetzen an den Wangenknochen. Einige hatten sich im Lauf der Jahrhunderte verformt und sahen aus wie Launen der Natur, missratene Föten, nichtmenschliche Wesen, auf deren verkrümmterGestalt sich Messgewänder unnatürlich abhoben, arabeskenverzierte Kaseln in verblassten Farben, Dalmatiken, die aussahen wie mit Stickereien verziert, aber sie waren vom Zahn der Zeit und von Katakombenwürmern zernagt. Bei wieder anderen waren die Gewänder zerschlissen, zerbröselt in den Jahrhunderten, und unter den Fetzen ihrer Paramente erschienen abgemagerte Körperchen, die Rippen überzogen mit einer straff wie das Fell einer Trommel gespannten Haut.
»Mag sein, dass es Pietät war, was zu dieser heiligen Inszenierung geführt hatte«, sagte Baudolino zu Niketas, »aber pietät- und gnadenlos waren die Überlebenden, die das Gedenken an jene Toten als eine permanente Drohung inszeniert hatten, die nicht im geringsten dazu angetan war, die Lebenden mit dem Tod zu versöhnen. Wie kann man für die Seele von jemandem beten, der einen von seiner Wand herab anstarrt, als wollte er sagen: ›Hier bin ich und hier werde ich bleiben‹, wie kann man an die Auferstehung des Fleisches glauben und an die Verklärung unserer irdischen Leiber nach dem Jüngsten Gericht, wenn diese Leiber noch da sind, jeden Tag hässlicher als am vorigen? Ich habe in meinem Leben nur allzu viele Leichen gesehen, aber wenigstens konnte ich hoffen, dass sie, nachdem sie sich in der Erde aufgelöst hatten, eines Tages schön und blühend wie eine Rose erstrahlen würden. Wenn dort droben nach dem Ende der Zeiten Leute wie diese hier umgehen sollten, so sagte ich mir, dann lieber die Hölle, die uns mit ihrem Feuer und ihren Spießen und Zangen doch wenigstens ein Abbild dessen gibt, was hier bei uns auf Erden geschieht ... Der Boidi, weniger sensibel für die letzten Dinge als ich, versuchte jene Gewänder zu lupfen, um zu sehen, in welchem Zustand die Gemächte der Mumien waren, aber wenn dir jemand das eine zeigt, wie kannst du dich dann beschweren, wenn anderen das andere in den Sinn kommt?«
Noch bevor sie das Ende der Katakomben erreichten, gelangten sie in einen runden Raum, in dessen gewölbterDecke durch eine kaminartige Öffnung hoch oben der nachmittägliche Himmel zu sehen war. Offenbar diente ein Brunnen auf Bodenhöhe zur Belüftung der Anlage. Sie löschten die Fackeln. Nicht länger von zuckenden Flammen beleuchtet, sondern von jenem fahlen Licht, das sich zwischen den Nischen verbreitete, wirkten die Leiber der Mönche noch beunruhigender. Man konnte meinen, dass sie, vom Licht des Tages berührt, sich zu regen begannen.
Endlich mündete der Gang, den die beiden genommen hatten, in den Umgang hinter den Säulen rings um die Krypta, in der sie beim ersten Mal Zosimos gesehen hatten. Sie näherten sich auf Zehenspitzen, denn da waren Lichter zu sehen. Die Krypta wurde, wie damals, von zwei Glutbecken auf Dreifüßen beleuchtet. Es fehlte nur das runde Wasserbecken, das Zosimos für seine Wahrsagerei benutzt hatte. Vor der Ikonostase standen bereits, nervös wartend, Boron und Kyot. Baudolino flüsterte dem Boidi zu, er solle zwischen den beiden Säulen neben der Ikonostase hervortreten, als ob er denselben Weg wie die beiden gegangen wäre; er selbst werde sich versteckt halten.
Der Boidi tat, wie ihm geheißen, und die beiden empfingen ihn ohne Überraschung. »Also hat der Poet auch dir erklärt, wie man hierherkommt«, sagte Boron. »Wir glauben, Baudolino hat er es nicht gesagt, wozu sonst all die Vorsichtsmaßnahmen? Hast du eine Ahnung, warum er uns hierherbestellt hat?«
»Er hat von Zosimos und vom Gradal gesprochen, und er hat mir gegenüber
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