Baudolino - Eco, U: Baudolino
Ich willigte ein. Der Poet ging hin, um die Sydoines – unsere, nein, meine, nein, die des Diakons – gegen das Mandylion zu vertauschen.«
Baudolino lachte auf, und Niketas verstand nicht, warum.
»Die wahre Posse erfuhren wir dann am Abend. Der Poet war in die einschlägige Taverne gegangen, hatte dort seinen ruchlosen Handel getätigt, hatte sich, um den Syrer betrunken zu machen, selber betrunken, war dann hinausgegangen, war von jemandem verfolgt worden, der über seine Machenschaften Bescheid wusste, vielleicht von dem Syrer selbst – der ja, wie der Poet gesagt hatte, vom selben Schlage war –, hatte in einer finsteren Gasse eins über den Schädel bekommen, war niedergeschlagen worden undkam nach Hause, betrunkener als Noah, blutend, zerschlagen, ohne Sydoines und ohne Mandylion. Ich hätte ihn mit Fußtritten umbringen können, aber er war ein gebrochener Mann. Zum zweiten Mal hatte er ein Reich verloren. In den folgenden Tagen mussten wir ihn gewaltsam ernähren. Ich sagte mir, dass ich froh sein konnte, nie allzu große Ambitionen gehabt zu haben, wenn einen das Scheitern einer Ambition in einen solchen Zustand versetzen kann. Dann gab ich zu, dass auch ich vielen enttäuschten Ambitionen zum Opfer gefallen war – ich hatte meinen geliebten Adoptivvater verloren, ohne für ihn das Reich gefunden zu haben, von dem er träumte, ich hatte die Frau, die ich liebte, für immer verloren ... Allerdings hatte ich gerade von ihr gelernt, dass der Demiurg alles nur halb gemacht hat, während der Poet immer noch glaubte, dass es möglich sei, auf dieser Welt einen Sieg zu erringen.«
Anfang April erkannten unsere Freunde, dass Konstantinopels Tage gezählt waren. Es hatte einen sehr dramatischen Zusammenstoß gegeben zwischen dem Dogen Dandolo, der auf dem Bug einer Galeere stand, und Murtzuphlos, der ihn vom Ufer aus beschimpfte und den Lateinern zurief, sie sollten sein Land umgehend verlassen. Es war klar, dass Murtzuphlos verrückt geworden war und die Lateiner ihn, wenn sie wollten, mit einem Schlag erledigen konnten. Man sah auf der anderen Seite des Goldenen Horns die Vorbereitungen in ihrem Lager, und auf dem Deck der dort vor Anker liegenden Schiffe war ein ständiges Kommen und Gehen von Seeleuten und Bewaffneten, die sich auf den Angriff vorbereiteten.
Der Boidi und Baudolino fanden, dass es Zeit war, zumal sie ja nun ein bisschen Geld hatten, sich aus Konstantinopel fortzumachen, denn ausgeplünderte Städte hätten sie schon zur Genüge gesehen. Boron und Kyot waren einverstanden, doch der Poet bat sie, noch ein paar Tage zu warten. Er hatte sich von seiner Schlappe erholt und wollte offensichtlich die letzten Stunden noch nutzen, um einen großen Coup zu landen, von dem er selber nicht wusste, worin der bestehen könnte. Er hatte bereits den Blick einesIrren, und mit Irren kann man bekanntlich nicht diskutieren. So erfüllten sie ihm seinen Wunsch, wobei sie sich sagten, es werde genügen, die Schiffe im Auge zu behalten, um zu wissen, wann der Moment gekommen sein würde, sich ins Landesinnere davonzumachen.
Der Poet blieb zwei Tage fort, und das war zu viel. Denn am Morgen des Freitag vor Palmsonntag war er noch nicht zurück, und da hatten die Pilger schon angefangen, vom Meer aus anzugreifen, zwischen dem Blachernenpalast und dem Euergeteskloster, ungefähr in der Gegend namens Petria, nördlich der Konstantinsmauer.
Es war zu spät, die Stadt zu verlassen, die inzwischen von allen Seiten umzingelt war. Ihren Herumtreiber von Gefährten verfluchend, beschlossen Baudolino und die anderen, lieber bei den Genuesern zu bleiben, deren Viertel nicht bedroht zu sein schien. So warteten sie, und Stunde für Stunde hörten sie neue Nachrichten aus Petria.
Die Schiffe der Pilger strotzten von Belagerungsmaschinen. Murtzuphlos stand auf einem kleinen Hügel hinter der Mauer, zusammen mit allen seinen Heerführern und Höflingen und Bannerträgern und Trompetern. Doch trotz dieser Parade schlugen sich seine Soldaten nicht schlecht: Die Lateiner hatten mehrmals zu stürmen versucht und waren jedes Mal zurückgeworfen worden, unter dem Jubel der Graeculi, die auf den Mauern standen und den Abgewiesenen ihren nackten Hintern zeigten, während Murtzuphlos triumphierte, als habe er das alles gemacht, und schon den Befehl gab, die Siegesfanfaren zu blasen.
So schien es zunächst, dass Dandolo und die anderen Anführer darauf verzichteten, die Stadt auszuquetschen, und sowohl der Samstag als auch der
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