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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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hinauslief. Um in den italienischen Dingen klarer zu sehen und sich dabei weder auf seine offiziellen Gesandten noch auf seine extra gesandten Offiziellen verlassen zu müssen, hatte er beschlossen, einige wenige Männer seines Vertrauens hinzuschicken, die das Land kannten, aber nicht sofort als Kaiserliche erkannt werden würden, auf dass sie die Atmosphäre erkundeten und glaubwürdige, nicht durch Verrat verfälschte Zeugnisse sammelten.
    Baudolino gefiel die Vorstellung, auf diese Weise der Verlegenheit zu entgehen, die er am Hofe empfand, aber gleich darauf überkam ihn ein anderes Gefühl: Er verspürte eine tiefe Erregung bei dem Gedanken, seine heimatlichen Orte wiederzusehen, und begriff endlich, dass er sich deswegen auf die Reise gemacht hatte.
     
    Nachdem er durch mehrere Städte gekommen war, gelangte er eines Tages munter fürbass reitend, oder besser gesagt gemächlich auf einem Muli dahinzockelnd, denn ergab sich als Händler aus, der friedlich über die Dörfer zog, auf jene Höhen, hinter welchen er nach einem guten Stück Ebene den Tanaro würde durchwaten müssen, um zwischen Karstland und Sümpfen die heimische Frascheta zu erreichen.
    Obwohl man damals, wenn man von zu Hause fortging, wirklich fortging, ohne die Absicht, jemals wiederzukommen, spürte Baudolino in diesem Augenblick ein Kribbeln in seinen Adern, denn plötzlich packte ihn der dringende Wunsch, zu wissen, ob seine Eltern noch lebten.
    Nicht nur seine Eltern, denn unwillkürlich standen ihm auch Jungen aus der Umgebung vor Augen, der Masulu von den Panizzas, mit dem er Fallen für wilde Kaninchen aufgestellt hatte, der Porcelli, genannt il Ghino (oder war es der Ghini, genannt il Porcello?), den sie, kaum dass sie ihn sahen, immer mit Steinen beworfen hatten und er zurück, der Aleramo Scaccabarozzi, genannt il Ciula, und der Cuttica aus Quargnento, mit denen er immer in der Bormida geangelt hatte. »Herr«, dachte er bei sich, »ich werde doch wohl jetzt nicht sterben? Heißt es doch, dass man sich nur im Moment des Todes so gut an die Dinge der Kindheit erinnert ...«
    Es war der Weihnachtsabend, aber das wusste Baudolino nicht, denn im Laufe seiner Reise hatte er aufgehört, die Tage zu zählen. Er zitterte vor Kälte auf seinem steifbeinig staksenden Muli, aber der Himmel war klar im Licht der untergehenden Sonne und sauber, wie wenn es bereits nach Schnee riecht. Er erkannte die Orte wieder, als ob er gerade erst gestern vorbeigekommen wäre, er erinnerte sich, wie er mit seinem Vater auf diese Hügel gestiegen war, um drei Mulis abzuliefern, mühsam steile Hänge hinauf, die schon von sich aus die Beine eines Jungen erlahmen lassen konnten, wie also erst, wenn er auch noch störrische Tiere hinauftreiben musste. Aber den Rückweg hatten sie genossen, von oben auf die Ebene blickend und frei den Hang hinuntertänzelnd. Baudolino erinnerte sich, dass die Ebene sich unweit des Flusses ein Stück weit zu einem Buckel aufwarf, von dessen Höhe herab er damals aus einer milchigen Schicht die Kirchtürme einiger Dörfer auftauchen sah,längs des Flusses, wo Bergoglio und Roboreto lagen und weiter hinten Gamondio, Marengo und die Palea, das heißt jenes Sumpfgebiet aus Tümpeln, Schotter und Buschwald, an dessen Rand vielleicht noch immer die Hütte des guten Gagliaudo stand.
    Doch als er nun auf dem Buckel ankam, sah er ein anderes Panorama, als wäre die Luft ringsum, auf den Hügeln und in den anderen Tälern glasklar und nur in der Ebene vor ihm getrübt von Nebelschwaden, von jenen grauweißen Wolkenballen, die dem Wanderer plötzlich entgegenkommen, ihn völlig einhüllen, so dass er nichts mehr sieht, und dann weiterziehen und verschwinden, wie sie gekommen sind – so dass Baudolino sich sagte, siehst du, ringsum kann auch August sein, aber in der Frascheta herrscht ewiger Nebel, so wie der ewige Schnee auf den Alpengipfeln –, aber das missfiel ihm nicht, denn wer im Nebel geboren ist, findet sich immer darin zurecht wie bei sich zu Hause. Doch während er zum Fluss hinunterritt, wurde ihm zunehmend klar, dass jene Schwaden kein Nebel waren, sondern Rauch, durch den da und dort auch die Feuer durchschimmerten, die ihn nährten. Zwischen Rauch und Feuern erkannte Baudolino dann langsam, dass in der Ebene jenseits des Flusses, rings um das, was früher einmal Roboreto gewesen sein musste, das Dorf ins Land hinausgewuchert war. Überall standen Grüppchen von neuen Häusern, einige aus Stein und andere aus Holz, viele erst

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