Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Gesandten, meine Steuereinnehmer und Prokuratoren haben nicht nur verlangt, was mir zustand, sondern siebenmal mehr. Für jede Feuerstelle haben sie pro Jahr drei Solidi in alter Münze eingetrieben und für jede Mühle an schiffbaren Gewässern vierundzwanzig alte Denare, den Fischern haben sie ein Drittel des Fangs weggenommen, und wenn einer kinderlos starb, haben sie das Erbe konfisziert. Ich weiß, ich hätte auf die Klagen hören sollen, die mich erreichten, aber ich hatte andere Sorgen ... Und jetzt haben sich die lombardischen Gemeinden, wie es scheint, seit einigen Monaten in einer Liga organisiert, einem antikaiserlichen Städtebund, verstehst du? Und was haben sie als erstes beschlossen? Die Mauern Mailands wieder aufzubauen!«
    Dass die italienischen Städte aufsässig und rebellisch waren, war nichts Neues, aber eine Liga, das bedeutete die Errichtung einer anderen Res publica . Gewiss war nicht anzunehmen, dass diese Liga lange halten würde, wenn man bedachte, wie sehr sich die italienischen Städte untereinander hassten, aber auf jeden Fall handelte es sich um einen Schlag, einen vulnus gegen die Ehre des Reiches.
    Wer gehörte zu dieser Liga? Gerüchten zufolge hatten sich in einer Abtei unweit von Mailand die Vertreter von Cremona, Mantua, Bergamo, vielleicht auch Piacenza und Parma versammelt, aber das war nicht sicher. Die Gerüchte hörten jedoch nicht auf, man sprach auch von Venedig, Verona, Padua, Vicenza, Treviso, Ferrara und Bologna. »Stell dir vor, Bologna!« rief Friedrich wütend, während er vor Baudolino auf und ab stapfte. »Du erinnerst dich doch noch? Dank meiner Güte können ihre verdammten Magister mit ihren verdammten Studenten so viel Geld machen, wie sie wollen, ohne mir oder dem Papst darüber Rechenschaft abzulegen, und jetzt beteiligen sie sich an dieser Liga! Kann man's noch schändlicher treiben? Fehlt nur noch Pavia!«
    »Oder Lodi«, warf Baudolino ein, um etwas ganz Abwegiges zu sagen. »Lodi?! Lodi?!« brüllte der Rotbart, nun auch im Gesicht so rot, dass es aussah, als werde ihn gleich der Schlag treffen. »Wenn ich den Nachrichten glauben darf, die ich bekomme, hat Lodi bereits an ihren Treffen teilgenommen! Ich reiße mir das Herz aus dem Leibe, um diese Elenden zu beschützen, die ohne mich von den Mailändern alle paar Monate plattgemacht würden bis auf die Grundmauern, und jetzt machen sie gemeinsame Sache mit ihren Henkern und verschwören sich gegen ihren Wohltäter!«
    »Lieber Vater«, fragte Baudolino, »was heißt dieses ›Wenn ich glauben darf‹ und ›Wie es scheint‹? Hast du keine sicheren Nachrichten?«
    »Ja habt ihr Studenten in Paris den Sinn dafür verloren, wie die Dinge laufen in dieser Welt? Wenn es eine Liga gibt, dann gibt es eine Verschwörung, und wenn es eine Verschwörung gibt, dann haben die, die es vorher mit dir hielten, dich verraten und erzählen dir genau das Gegenteil dessen, was sie treiben, und so erfährt der Kaiser als letzter, was vorgeht, genau wie jene Ehemänner, die eine untreue Frau haben, über deren Untreue alle Bescheid wissen außer ihnen selbst!«
    Er hätte kein schlechteres Beispiel wählen können, denn genau in dem Augenblick kam Beatrix herein, die von der Ankunft des lieben Baudolino gehört hatte. Baudolinokniete nieder, um ihr die Hand zu küssen, ohne ihr in die Augen zu sehen. Beatrix zögerte einen Moment. Vielleicht meinte sie, wenn sie keine Zeichen der Vertrautheit und Zuneigung gäbe, würde sie ihre Verlegenheit verraten; daher legte sie ihm die andere Hand mütterlich auf den Kopf und kraulte ihm ein bisschen im Haar – wobei sie ganz vergaß, dass eine Frau von Anfang Dreißig einen erwachsenen, nur wenige Jahre jüngeren Mann nicht mehr so behandeln konnte. In Friedrichs Augen war ihr Verhalten jedoch ganz normal: er Vater, sie Mutter, wenn auch beide nur Adoptiveltern. Wer sich fehl am Platze fühlte, war Baudolino. Diese zweifache Berührung, die Nähe ihrer Person, der Duft ihres Kleides, als wäre es der ihrer Haut, der Klang ihrer Stimme – und welch ein Glück, dass er ihr in dieser Haltung nicht in die Augen sehen konnte –, all dies erfüllte ihn mit einem unsäglichen Entzücken, das allerdings beeinträchtigt wurde durch das Gefühl, mit dieser schlichten Huldigungsgeste ein weiteres Mal seinen Stiefvater zu verraten.
    Er hätte nicht gewusst, wie er sich verabschieden sollte, hätte der Kaiser ihn nicht um einen Gefallen gebeten oder ihm einen Befehl erteilt, was auf dasselbe

Weitere Kostenlose Bücher