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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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uns dagegen auf eigene Faust auf die Reise, dann werden wir, egal wie die Sache ausgeht, aus einem so reichen und wunderbaren Land auf jeden Fall etwas Außerordentliches mitbringen.«
    »Jawohl«, sagte Abdul, »zögern wir nicht länger, brechen wir auf, reisen wir in die Ferne ...«
     
    »Ich gestehe dir, Kyrios Niketas, mich überkam eine tiefe Niedergeschlagenheit, als ich sah, wie begeistert alle auf den Vorschlag des Poeten eingingen, und ich begriff auch, warum. Boron und Kyot hofften beide, das Land des Priesters zu finden, um sich in den Besitz des Gradals zu bringen, der ihnen wer weiß welchen Ruhm und welcheMacht in jenen nordischen Ländern eingebracht hätte, wo alle immer noch nach ihm suchten. Rabbi Solomon wollte die zehn verstreuten Stämme Israels finden, da er dann der Größte und Angesehenste nicht nur unter den Rabbinern Spaniens, sondern unter allen Kindern Israels geworden wäre. Bei Abdul lag das Motiv auf der Hand: Er hatte das Reich des Priesters Johannes inzwischen mit dem seiner Prinzessin gleichgesetzt, doch je mehr er an Alter und Weisheit zunahm, desto weniger befriedigte ihn die Ferne, und er wollte die Prinzessin – möge der Gott der Liebenden ihm verzeihen – endlich mit Händen berühren. Was den Poeten anging, wer weiß, welche Gedanken oder Absichten er in Pavia ausgebrütet hatte. Seit er über ein eigenes kleines Vermögen verfügte, schien er das Reich des Johannes nicht für den Kaiser, sondern für sich haben zu wollen. Dies alles mag dir erklären, warum ich, enttäuscht, einige Jahre lang nicht mit Friedrich über das Reich des Priesters gesprochen habe. Wenn das Spiel so lief, schien es mir besser, das Reich zu belassen, wo es lag, um es der Gier all derer zu entziehen, die keinen Begriff von seiner mystischen Größe hatten. Der Brief war für mich so etwas wie ein privater Traum geworden, in den ich keinen anderen einlassen wollte. Er half mir über den Kummer meiner unglücklichen Liebe hinweg. Eines Tages, so sagte ich mir, werde ich all dies vergessen und mich ins Reich des Priesters Johannes begeben ... Aber zurück zu den lombardischen Angelegenheiten.«
     
    Zu der Zeit, als Alexandria gebaut wurde, hatte Friedrich gesagt, es fehle nur noch, dass auch Pavia zu seinen Feinden überlaufe. Zwei Jahre später schloss sich Pavia der antikaiserlichen Liga an. Es war ein harter Schlag für Friedrich. Er reagierte nicht sofort, aber im Laufe der nächsten Jahre wurde die Lage in Italien so unerquicklich, dass Friedrich sich zu einem erneuten Zug über die Alpen entschloss, und es war klar, dass er genau auf Alexandria zielte.
     
    »Entschuldige«, sagte Niketas, »das war also sein dritter Italienzug?«
    »Nein, der vierte. Oder, warte mal ... Es muss der fünfte gewesen sein, glaube ich. Manchmal ist er jahrelang unten geblieben, bis zu vier Jahren, wie damals bei der Sache mit Crema und der Zerstörung Mailands. Oder war er zwischendurch zurückgekehrt? Ich weiß nicht, er hielt sich ja mehr in Italien auf als zu Hause, aber wo war sein Zuhause? Ans Reisen gewöhnt, fühlte er sich – das war mir aufgefallen – richtig wohl nur an einem Fluss: Er war ein guter Schwimmer, er fürchtete weder Eiseskälte noch Hochwasser, noch Strudel. Er sprang kopfüber hinein und schwamm wie ein Fisch und schien sich vollkommen in seinem Element zu fühlen ... Wie auch immer, jedenfalls auf diesem Zug nach Italien, da war er sehr wütend und bereit zu einem harten Krieg. Mit ihm waren der Markgraf von Montferrat, Alba, Acqui, Pavia und Como ...«
    »Aber gerade eben hast du gesagt, Pavia sei zur Liga übergelaufen ...«
    »Wirklich? Ach ja, vorher, aber inzwischen war es wieder zum Kaiser zurückgekehrt.«
    »Herr im Himmel, bei uns stechen sich die Kaiser gegenseitig die Augen aus, aber solange einer sehen kann, wissen wir wenigstens, auf welcher Seite er steht ...«
    »Ihr habt eben keine Phantasie. Kurzum, im September jenes Jahres zog Friedrich über den Mont Cenis nach Susa. Er hatte die Schmach noch gut in Erinnerung, die er dort sieben Jahre zuvor erlitten hatte, und rächte sich nun mit Feuer und Schwert. Asti ergab sich sofort und ließ ihn passieren, und so schlug er sein Lager in der Frascheta auf, am Ufer der Bormida, aber überall ringsum wurden Männer postiert, auch jenseits des Tanaro. Es war der Moment der Abrechnung mit Alexandria. Ich erfuhr es aus Briefen von dem Poeten, der die Expedition begleitete: Friedrich schien Feuer und Flammen zu sprühen, er

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