Baudolino
als euer Reich, es gibt auch noch das Ultima Thule und das Land der Hibernier. Gewiß, verglichen mit Konstantinopel ist Rom ein Haufen Ruinen und
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Paris ein schlammiges Dorf, aber auch dort passiert hin und wieder etwas. In großen Teilen der Welt spricht man kein Griechisch, und es gibt sogar Leute, die, um auszudrücken, daß sie mit etwas einverstanden sind, oc sagen.«
»Oc?«
»Oc.«
»Sonderbar. Aber erzähle weiter.«
»Ich erzähle weiter. Ich sah ganz Italien, neue Orte und Gesichter, nie zuvor gesehene Kleider, Damast, Stickereien, goldbetreßte Mäntel, Schwerter, Rüstungen, ich hörte Stimmen, die ich nur mühsam nachahmen konnte, Tag für Tag. Ich
erinnere mich nur noch dunkel, wie Friedrich in Pavia die eiserne Krone des Königs von Italien empfing, wie wir dann weiterzogen in das sogenannte diesseitige Italien, Italia äterior, die Via francigena hinunter, dann die Begegnung des Kaisers mit Papst Hadrian in Sutri, dann die Krönung in Rom...«
»Aber ist dieser euer Basileus - oder Kaiser, wie ihr sagt - nun in Pavia oder in Rom gekrönt worden? Und wieso in Italien, wenn er doch Basileus der Alamanoi war?«
»Gehen wir der Reihe nach vor, Kyrios Niketas, bei uns
Lateinern ist das nicht so einfach wie bei euch Romäern. Bei euch sticht einer dem gerade herrschenden Basileus die Augen aus, wird selber Basileus, alle sind einverstanden, und sogar der Patriarch von Konstantinopel tut, was der Basileus sagt, andernfalls sticht der Basileus auch ihm die Augen aus...«
»Jetzt übertreibst du aber.«
»Ich übertreibe? Als ich hier ankam, hat man mir sogleich erklärt, daß Basileus Alexios III. auf den Thron gelangt war, weil und nachdem er den legitimen Basileus, seinen Bruder Isaakios, geblendet hatte.«
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»Kommt es bei euch nie vor, daß ein König seinen Vorgänger beseitigt, um auf den Thron zu gelangen?«
»Doch, aber dann tötet er ihn, im Kampf oder mit einem Gift oder mit dem Dolch.«
»Siehst du, ihr seid Barbaren, ihr könnt euch eine weniger blutige Art, die Fragen der Herrschaft zu regeln, gar nicht vorstellen. Im übrigen war Isaakios ein Bruder von Alexios, und einen Bruder tötet man nicht.«
»Verstehe, die Blendung war ein Akt der Brüderlichkeit. Bei uns ist das anders. Der Kaiser der Lateiner, der kein Lateiner ist seit der Zeit des Carolus Magnus, ist der legitime Nachfolger der Römischen Kaiser, derer in Rom meine ich, nicht derer in Konstantinopel. Aber um sicher zu sein, daß er es auch wirklich ist, muß er sich vom Papst krönen lassen, denn das Gesetz Christi hat das der Fälscher und Lügner hinweggefegt. Um jedoch vom Papst gekrönt zu werden, muß der Kaiser auch von den italienischen Städten anerkannt werden, die alle ein bißchen machen, was sie wollen, und darum muß er zum König von
Italien gekrönt werden - vorausgesetzt natürlich, daß ihn vorher die deutschen Fürsten gewählt haben. Klar?«
Niketas hatte schon vor geraumer Zeit gelernt, daß die
Lateiner, wenngleich Barbaren, sehr kompliziert waren, bar jeder Subtilität und allen Differenzierungsvermögens, wenn es um Fragen der Theologie ging, aber fähig, ein Haar in vier Teile zu spalten, wenn es um Rechtsfragen ging. In all den
Jahrhunderten, in denen die byzantinischen Römer ihre Zeit mit der Abhaltung aus- und ergiebiger Konzile verbracht hatten, um die Natur Unseres Herrn zu definieren, ohne dabei die Macht in Frage zu stellen, die noch unmittelbar aus Konstantinopel kam -
in all diesen Jahren hatten die Weströmer die Theologie den Priestern in Rom überlassen und ihre Zeit damit verbracht, sich gegenseitig zu vergiften oder die Köpfe einzuschlagen, um zu klären, ob es noch einen Kaiser gab und wer es war, mit dem
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schönen Ergebnis, daß sie keinen richtigen Kaiser mehr hatten.
»Nun gut, Friedrich brauchte also eine Krönung in Rom. Muß eine feierliche Sache gewesen sein...«
»Nur bis zu einem bestimmten Punkt. Erstens, weil Sankt Peter in Rom verglichen mit der Hagia Sophia eine Hütte ist, noch dazu eine eher verwahrloste. Zweitens, weil die Lage in Rom während jener Tage sehr verworren war, der Papst hatte sich in der Nähe von Sankt Peter in seiner Burg verschanzt, und auf der anderen Seite des Tibers gebärdeten sich die Römer als die Herren der Stadt. Drittens, weil nicht recht klar war, ob nun der Papst den Kaiser ärgerte oder der Kaiser den Papst.«
»Wie meinst du das?«
»Nun, wenn ich die Fürsten und Bischöfe am Hofe reden
hörte, dann waren
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