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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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die Rückkehr nach Oberitalien, das sogenannte Italia ulterior, bis hinauf zu den Hängen der Alpen, die Otto Pyrenäen nannte, und es war das erste Mal, daß ich die Gipfel der Berge schneebedeckt sah.
    Und derweil führte mich, Tag für Tag, der Kanonikus Rahewin in die Kunst des Schreibens ein.«
    »Muß hart gewesen sein für einen Jungen...«
    »Nein, hart war es nicht. Sicher, wenn ich etwas nicht
    verstand, gab mir der Kanonikus eine Kopfnuß, was mir jedoch nach den Schlägen meines Vaters nicht soviel ausmachte, aber sonst hingen mir alle an den Lippen. Wenn es mir zum Beispiel in den Sinn kam zu sagen, ich hätte eine Sirene im Meer gesehen - nachdem der Kaiser mich eingeführt hatte als einen,
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    der Heilige sah -, dann glaubten mir alle und sagten bravo, bravo...«
    »Das wird dich gelehrt haben, deine Worte zu wägen.«
    »Im Gegenteil, es hat mich gelehrt, sie überhaupt nicht zu wägen.
    Ich bildete mir langsam ein: Was immer ich sage, ist wahr, weil ich es gesagt habe... Als wir nach Rom zogen, erzählte mir ein Priester namens Konrad von den mirabilia jener Stadt, von den sieben Automaten des Kapitols, die für die sieben Tage der Woche standen und jeder mit einem Glöckchen jeden Aufstand in einer Provinz des Reiches meldeten, oder von den
    Bronzestatuen, die sich von selber bewegten, oder von 'einem Palast voller Zauberspiegel... Dann kamen wir nach Rom, und an dem Tag, als sie das Gemetzel am Ufer des Tibers machten, bin ich frühmorgens losgezogen und kreuz und quer durch die Stadt gewandert. Und ob du's glaubst oder nicht, ich habe bloß Schafherden zwischen antiken Ruinen gesehen und unter den Torbögen Leute, die sich in der Sprache der Juden unterhielten und Fisch verkauften, aber mirabilia habe ich keine gesehen, außer einer Reiterstatue im Lateran, aber auch die ist mir nicht besonders großartig vorgekommen. Doch als wir dann auf dem Rückweg waren und ich von allen gefragt wurde, was ich
    gesehen hätte - konnte ich da etwa sagen, in Rom gab's nur Schafe zwischen Ruinen und Ruinen zwischen Schafen? Man hätte mir nicht geglaubt. So habe ich von den mirabilia erzählt, von denen mir erzählt worden war, und habe noch ein paar hinzugefügt, zum Beispiel, daß ich im Lateranpalast einen goldenen und mit Diamanten besetzten Reliquienschrein
    gesehen hätte, in dem der Nabel und die Vorhaut Unseres Herrn gewesen seien. Alle hingen mir an den Lippen und sagten ein ums andere Mal, wie schade, daß wir an jenem Tag die Römer abschlachten mußten und all diese mirabilia nicht sehen konnten! Nicht anders ist es mir auch später ergangen, in all
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    diesen Jahren habe immer wieder von den Wundern Roms
    fabulieren hören, in Deutschland und in Burgund und sogar hier in Konstantinopel, bloß weil ich von ihnen gesprochen hatte.«
    Inzwischen waren die Genueser zurückgekommen, gekleidet als Mönche, die Glöckchen läutend vor einer Schar düsterer, von Kopf bis Fuß in schmutzigweiße Lumpen gehüllter Gestalten einherhergingen. Es war die Familie des Herrn Niketas, seine schwangere Frau mit dem Jüngsten auf dem Arm und die
    übrigen Söhne und Töchter, höchst anmutige junge Mädchen, eine Reihe weiterer Angehöriger und ein paar Diener. Die Genueser hatten sie durch die Stadt geführt, als wären sie eine Schar von Leprakranken, und sogar die Kreuzpilger waren bei ihrem Anblick rasch zur Seite gewichen.
    »Wie haben sie euch bloß ernst nehmen können?« fragte
    Baudolino lachend. »Bei den Leprakranken kann ich es ja noch verstehen, aber ihr seht nun wirklich nicht gerade wie Mönche aus!«
    »Mit allem Respekt, diese Kreuzpilger sind eine Bande von Einfaltspinseln«, sagte Taraburlo. »Im übrigen, nachdem wir nun schon so lange hier leben, haben auch wir ein bißchen Griechisch gelernt. Wir haben unterwegs immerzu Kyriekison pighe pighe vor uns hin gemurmelt, im Singsang, als war's eine Litanei, und da sind sie beiseite gesprungen, die einen haben sich bekreuzigt, andere haben uns zwei gestreckte Finger entgegengehalten, und wieder andere haben sich an den Sack gefaßt.«
    Ein Diener brachte Niketas eine Schatulle, Niketas zog sich in eine Ecke des Raumes zurück, um sie zu öffnen, kam mit ein paar goldenen Münzen zurück und gab sie den Hausherren, die sich überschwenglich bedankten und ihm versicherten, daß er bis zu seiner Abreise nach Belieben über das Haus verfügen könne. Die vielköpfige Familie wurde auf die benachbarten Häuser verteilt, zwischen schmutzige enge Gassen,

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