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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Reiches, damit sie mit ihrem abscheulichen Anblick nicht seine anderen Untertanen verwirren, die nämlich - das kannst du mir glauben, edler Herr Baudolino - lauter sehr schöne Menschen sind. Aber es ist ganz natürlich, daß die Natur auch Monster hervorbringt, unerklärlich ist eher, warum nicht inzwischen die ganze menschliche Gattung monströs geworden ist, seit sie das gräßlichste aller Verbrechen begangen und Gottvater gekreuzigt hat.«
    Auf einmal bemerkte Baudolino, daß auch die Eunuchen
    schlecht dachten, und stellte seinem Gastgeber einige Fragen.
    »Einige dieser Monster glauben«, sagte Praxeas, »daß der Sohn vom Vater nur adoptiert worden sei, andere hören nicht auf zu diskutieren, wer von wem ausgeht, und jeder läßt sich, monströs wie er ist, von seinem monströsen Irrtum dazu
    hinreißen, die Hypostasen der Gottheit zu vervielfachen, im Glauben, das Höchste Wesen bestehe aus drei oder gar vier verschiedenen Wesenheiten. Heiden! Es gibt eine einzige göttliche Wesenheit, die sich im Laufe der menschlichen
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    Geschichte in verschiedenen Formen oder Personen
    manifestiert. Diese einzige göttliche Wesenheit ist, insofern sie zeugt, Vater, insofern sie gezeugt ist, Sohn, und insofern sie heiligt, Geist, aber es handelt sich stets um ein und dieselbe göttliche Natur - der Rest ist wie eine Maske, hinter der Gott sich verbirgt. Eine Wesenheit ist eine einzige dreifaltige Person und nicht, wie einige Häretiker behaupten, drei Personen in einem Wesen. Aber wenn das so ist und wenn Gott wirklich Fleisch geworden ist, als ganzer, wohlgemerkt, und nicht indem er bloß einen adoptierten Ableger seiner selbst delegiert, dann hat kein anderer als der Vater selbst am Kreuz gelitten. Den Vater kreuzigen! Begreifst du, was das heißt? Nur eine
    verfluchte Rasse konnte sich zu dieser äußersten Tat versteigen, und so ist es Aufgabe jedes Gläubigen, den Vater zu rächen.
    Kein Erbarmen für die verfluchte Nachkommenschaft Adams!«
    Bisher hatte Niketas schweigend zugehört, ohne Baudolino zu unterbrechen. Nun aber tat er es, weil er bemerkte, daß sein Gesprächspartner unsicher war, wie er das, was er gerade erzählte, interpretieren sollte. »Glaubst du«, fragte er, »daß die Eunuchen das Menschengeschlecht haßten, weil es den Vater hatte leiden lassen, oder daß sie sich diese Häresie zu eigen gemacht hatten, weil sie das Menschengeschlecht haßten?«
    »Das habe ich mich auch immer gefragt, damals und später, ohne bisher eine Antwort gefunden zu haben.«
    »Ich weiß, wie die Eunuchen denken. Ich habe im Palast des Kaisers viele von ihnen kennengelernt. Sie versuchen, Macht anzuhäufen, um ihrem Groll auf alle Zeugungsfähigen Luft zu machen. Aber oft in meiner langen Erfahrung habe ich den Eindruck gehabt, daß auch viele, die keine Eunuchen sind, die Macht benutzen, um auszudrücken, was sie sonst nicht
    ausdrücken könnten. Vielleicht ist das Befehlen noch eine größere Leidenschaft als das Kopulieren.«
    »Da war noch mehr, was mich ratlos machte. Hör zu: Die
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    Eunuchen von Pndapetzim bildeten eine Kaste, die sich durch Auswahl reproduzierte, da ihre Natur ihnen keine andere Möglichkeit ließ. Seit Generationen und Abergenerationen, sagte Praxeas, wählten die Ältesten unter ihnen anmutige Jünglinge aus und reduzierten sie zu ihresgleichen, um sie erst zu ihren Sklaven und dann zu ihren Erben zu machen. Woher aber nahmen sie diese graziösen und wohlgeformten Jünglinge, wenn doch die ganze Provinz von Pndapetzim nur von Launen der Natur bewohnt war?«
    »Sicher stammten die Eunuchen aus einem anderen Land. Es kommt in vielen Armeen und öffentlichen Verwaltungen vor, daß die Regierenden nicht derselben Gemeinschaft angehören dürfen wie die von ihnen Regierten, damit sie für ihre
    Untertanen keine Sympathie- oder Komplizengefühle
    entwickeln. Vielleicht hatte der Priester es so gewollt, um jene streitsüchtigen Mißgestalten niederhalten zu können.«
    »Sag lieber: um sie ohne Gewissensbisse verheizen zu können.
    Denn aus Praxeas' Worten habe ich noch zwei andere Dinge begriffen. Pndapetzim war der letzte Vorposten, bevor das Reich des Priesters begann. Danach kam nur noch eine Schlucht in den Bergen, die zu einem anderen Landstrich führte, und auf den Höhen über dieser Schlucht waren nubische Wachen postiert, die nur darauf warteten, Steinlawinen auf jeden stürzen zu lassen, der sich dort hineinwagte. Am Ausgang der Schlucht begann ein riesiger Sumpf, der so

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