Baudolino
tückisch war, daß jeder, der ihn zu durchqueren versuchte, in Schlamm- oder
Flugsandlöchern versank, und wenn er nur bis zu den Waden eingesunken war, konnte er sich nicht mehr herausziehen und versank immer tiefer, bis er ganz verschwunden war wie einer, der im Meer ertrinkt. Durch diesen Sumpf gab es nur einen einzigen sicheren Weg, den jedoch nur die Eunuchen kannten, die gelernt hatten, ihn an gewissen Zeichen zu erkennen. Daher war Pndapetzim das Tor, die Verteidigungsstellung, die Sperre,
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die man durchbrechen mußte, wenn man ins Reich wollte.«
»Da ihr die ersten Besucher seit wer weiß wie vielen
Jahrhunderten wart, kann diese Verteidigung nicht allzu mühsam gewesen sein.«
»Im Gegenteil. Praxeas äußerte sich sehr vage über diesen Punkt, als liege ein Verbot auf dem Namen derer, die sie bedrohten, aber dann entschloß er sich, mir mit halben Worten anzudeuten, daß die ganze Provinz unter dem Alptraum eines kriegerischen Volkes lebte, dem der Weißen Hunnen, die jeden Augenblick eine Invasion versuchen könnten. Wenn diese
Feinde im Weichbild von Pndapetzim auftauchten, würden
ihnen Skiapoden und Blemmyer und alle anderen Monster
entgegengeschickt, damit sie sich von ihnen massakrieren ließen und so die Eroberung ein wenig aufhielten, und derweil würden die Eunuchen den Diakon durch die Schlucht führen, hinter ihm genügend Lawinen hinunterstürzen lassen, um den Durchgang zu verstopfen, und sich ins Reich zurückziehen. Sollten sie das nicht rechtzeitig schaffen und gefangengenommen werden, so daß die Weißen Hunnen einen von ihnen unter der Folter
zwingen könnten, den einzigen Weg durch den Sumpf zu
verraten, seien sie alle darauf vorbereitet, mit einem Gift aus dem Leben zu scheiden, das jeder von ihnen in einem Beutel an der Brust trug. Das Schreckliche an der Sache war aber, daß Praxeas nicht daran zweifelte, sich in jedem Fall retten zu können, denn im letzten Moment würden sie als Schutzschild die Nubier haben. Es sei das Beste, was einem passieren könne, sagte er, als Leibwächter Circumcellionen zu haben.«
»Ich habe von ihnen gehört, aber die Sache hat sich vor Jahrhunderten an den Küsten Afrikas zugetragen. Dort gab es Häretiker, die man Donatisten nannte, sie vertraten die Ansicht, die Kirche müsse die Gemeinschaft der Heiligen sein, aber leider seien ihre Diener inzwischen alle verdorben, und darum könne kein Priester mehr die Sakramente vollziehen. Sie lagen
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in einem Dauerkrieg mit allen anderen Christen. Die
entschiedensten unter ihnen waren eben die Circumcellionen, barbarische Angehörige der Mohrenrasse, die übers Land und durch die Täler zogen auf der Suche nach dem Martyrium. Sie stürzten sich mit dem Ruf Deo laudes von den Felsen auf die Wanderer, bedrohten sie mit ihren Keulen und befahlen ihnen, sie zu töten, damit sie der Glorie des Opfers teilhaftig würden.
Und wenn die erschrockenen Leute sich weigerten, nahmen ihnen die Circumcellionen zuerst alles weg und zerschmetterten ihnen dann den Schädel... Ich hatte allerdings gedacht, diese Exaltierten seien längst ausgestorben.«
»Offenbar waren die Nubier von Pndapetzim späte
Nachkommen von ihnen. Sie seien sehr gut im Krieg zu
gebrauchen, sagte mir Praxeas mit seiner gewohnten Verachtung für seine Untertanen, denn sie ließen sich gerne vom Feind töten, und in der Zeit, die es brauche, um sie alle zu töten, würden die Eunuchen die Schlucht unpassierbar machen. Aber die Nubier warteten seit zu vielen Jahrhunderten auf dieses Glück, niemand komme, um die Provinz zu erobern, und so ballten sie nur ungeduldig die Fäuste. Über die Monster konnten sie nicht gut herfallen, da sie den Auftrag hatten, sie zu beschützen, und so versuchten sie sich Luft zu machen, indem sie wilde Tiere mit bloßen Händen jagten und töteten.
Manchmal begaben sie sich bei ihren Jagden sogar über den Sambatyon in die Steinwüste, wo sie Chimären und Mantikoren erlegten, und gelegentlich hatte einer von ihnen die Freude, wie Abdul zu enden. Aber das genügte ihnen nicht. Es kam vor, daß gerade die Überzeugtesten von ihnen durchdrehten. Praxeas hatte bereits erfahren, daß einer von ihnen uns an jenem Nachmittag angefleht hatte, ihn zu enthaupten; andere stürzten sich, während sie die Schlucht bewachten, von den Felsen -
kurzum, sie waren immer schwerer im Zaum zu halten. Den Eunuchen blieb nichts anderes übrig, als ständig ihre
Wachsamkeit zu schüren, ihnen täglich von neuem
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