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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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um zu sehen, ob nicht endlich die Schönwetterzeit wiederkam. Kurzum, jeder hatte sich seinen eigenen Zeitvertreib erfunden, wir hatten uns an die scheußlichen Speisen gewöhnt und konnten vor allem nicht mehr auf den burq verzichten. Uns tröstete der Gedanke, daß ja nun das Reich bloß noch zwei Schritte entfernt war,
    beziehungsweise ein Jahr Fußmarsch, wenn alles gutging, aber wir fühlten uns nicht mehr verpflichtet, irgendwas zu entdecken oder einen anderen Weg zu finden, wir mußten bloß warten, daß die Eunuchen uns den richtigen führten. Wir waren, könnte man sagen, selig entnervt und glücklich gelangweilt. Jeder von uns,
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    außer Colandrino, war bereits in die Jahre gekommen. Ich hatte die Fünfzig überschritten, und in dem Alter stirbt man, wenn man nicht schon lange tot ist. Wir dankten Gott, daß wir noch lebten, und offenbar tat uns das Klima gut, denn wir kamen uns alle verjüngt vor, ich zum Beispiel sah aus, als hätte ich zehn Jahre weniger auf dem Buckel als zur Zeit unserer Ankunft. Wir waren körperlich kräftig und geistig schlaff, wenn ich so sagen darf. Wir hatten uns so sehr mit den Leuten von Pndapetzim identifiziert, daß wir sogar anfingen, uns für ihre theologischen Debatten zu erwärmen.«
    »Mit wem hieltet ihr es?«
    »Tatsächlich hatte alles damit angefangen, daß dem Poeten das Blut kochte und er es nicht mehr ohne ein weibliches Wesen aushielt. Dabei schaffte das sogar der arme Colandrino, aber der war ein Engel auf Erden, wie seine arme Schwester. Den Beweis dafür, daß auch unsere Augen sich an jenen Ort gewöhnt hatten, bekam ich, als der Poet anfing, für eine junge Panothierin zu schwärmen. Ihre langen fließenden Ohren hatten es ihm
    angetan, die Weiße ihrer Haut erregte ihn, er fand sie biegsam und pries ihre schon gezeichneten Lippen. Er hatte zufällig mit angesehen, wie zwei Panothier sich im Freien paarten, und ihm schien es sehr lustvoll gewesen zu sein: Beide hatten einander mit ihren Ohren umhüllt und kopulierten wie im Inneren einer Muschel, oder als ob sie jene Fleischbällchen in Weinblättern wären, die wir in Armenien gekostet hatten. Es muß wunderbar gewesen sein, sagte er. Dann, als die Panothierin, der er sich zu nähern versuchte, sich sträubte, hatte er sich in eine Blemmyerin verguckt. Er fand, daß sie, einmal abgesehen von ihrem
    fehlenden Kopf, eine zarte Hüfte und eine einladende Vagina hatte, und im übrigen müsse es wunderbar sein, eine Frau auf den Mund zu küssen, als küsse man sie auf den Bauch. So hatte ei angefangen, die Blemmyer zu frequentieren. Eines Abends nahm er uns zu einer ihrer Versammlungen mit. Die Blemmyer
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    hatten, wie alle Monster jener Provinz, keine Angehörigen der anderen Rassen zu ihren Debatten über die heiligen Dinge zugelassen, aber wir waren anders, man hielt es nicht für möglich, daß auch wir schlecht denken könnten, im Gegenteil, jede Rasse war überzeugt, daß wir so dachten wie sie. Der einzige, der seine Enttäuschung über unsere Vertrautheit mit den Blemmyern gern gezeigt hätte, war Gavagai, aber inzwischen war es soweit, daß der getreue Skiapode uns verehrte, und so konnte alles, was wir taten, für ihn nur wohlgetan sein. Ein bißchen aus Naivität, ein bißchen aus Liebe hatte er sich eingeredet, wir gingen zu den Riten der Blemmyer, um sie zu lehren, daß Jesus der Adoptivsohn Gottes gewesen sei.«
    Die Kirche der Blemmyer befand sich auf Bodenhöhe, eine bloße Fassade mit zwei Säulen und einem Tympanon, alles übrige war im Innern des Felsens. Der Priester rief die Gläubigen zur Andacht, indem er mit einem Hämmerchen auf eine mit Seilen umwickelte Steinplatte schlug, die scheppernd wie eine geborstene Glocke klang. Innen sah man nur den Altar, beleuchtet von Lampen, in denen, nach dem Geruch zu urteilen, nicht Öl, sondern Butter brannte, vielleicht Ziegenmilchbutter.
    Es gab weder Kruzifixe noch andere Bilder, weil, wie der Blemmyer erklärte, der Baudolino und den Seinen als Führer diente, nach Überzeugung der Blemmyer (der einzig richtigen) der Logos nicht Fleisch geworden war und sie also nicht das Bild eines Bildes verehren konnten. Aus dem gleichen Grund könnten sie auch die Eucharistie nicht ernst nehmen, weshalb es in ihrer Messe keine Wandlung gebe. Nicht einmal das
    Evangelium könnten sie lesen, denn es sei ja bloß die Erzählung einer Sinnestäuschung.
    Baudolino fragte, was für eine Art von Messe sie denn dann noch feiern könnten, und der Führer

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