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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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bewegt, ich zählte ihm die wunderbaren Wildtiere meiner Heimat auf, den Hirsch, der zwei große Hörner in Kreuzesform hat, den Storch, der von Land zu Land fliegt und sich liebevoll um seine greisen Eltern kümmert, indem er sie auf seinem Rücken über den Himmel trägt, den Marienkäfer, der einem kleinen Pilz ähnelt, rot mit milchweißen Punkten, die Eidechse, die wie ein Krokodil aussieht, aber so klein ist, daß sie unter den Türen hindurchschlüpfen kann, den Kuckuck, der seine Eier in die Nester der anderen Vögel legt, die Eule, die große runde Augen hat, die in der Nacht wie zwei Lichter leuchten, und die davon lebt, daß sie das Öl aus den Ewigen Lampen der Kirchen trinkt, den Igel, ein Tier mit dem Rücken voller Stachel, das die Milch der Kühe trinkt, die Auster, eine lebende Schatulle, die manchmal eine tote, aber unschätzbar wertvolle Schönheit hervorbringt, die Nachtigall, die singend die Nacht durchwacht und die Rose anbetet, die Languste, ein gepanzertes Monster in flammendem Rot, das rückwärts flieht, um sich vor den auf sein Fleisch begierigen Jägern zu retten, den Aal, eine furchterregende Wasserschlange, die jedoch sehr fett ist und köstlich schmeckt, die Möwe, die über den Wassern schwebt, als wäre sie ein Engel des Herrn, aber schrille Schreie ausstößt wie ein Teufel, die Amsel, ein schwarzer Vogel mit gelbem Schnabel, der sprechen kann wie ein Mensch und
    denunziatorisch immer das sagt, was sein Herr ihm anvertraut hat, den Schwan, der majestätisch durchs Wasser pflügt und im
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    Moment seines Todes eine wundersüße Melodei anstimmt, das Mauswiesel, das biegsam ist wie ein junges Mädchen, den Falken, der im Sturzflug auf seine Beute niederfährt und sie dem Ritter bringt, der ihn aufgezogen hat. Ich malte ihm die Pracht von Edelsteinen aus, die er nie gesehen hatte (sowenig wie ich): die purpurnen und milchigen Flecken der Murrhina, die
    violetten und weißen Adern einiger ägyptischer Steine, das Gleißen des Orichalkums, die Transparenz des Kristalls, das Funkeln des Diamanten, und dann pries ich ihm den Glanz des Goldes, eines weichen Metalls, das zu feinsten Blättern geformt werden kann, das Zischen der glühenden Klingen, wenn sie zum Abkühlen ins Wasser gehalten werden, ich hielt ihm vor Augen, welche unvorstellbaren Reliquiare in den Schatzhäusern der großen Abteien zu sehen sind, wie hoch und spitz die Türme unserer Kirchen sind, wie hoch und gerade die Säulen des Hippodroms in Konstantinopel, was für Bücher die Juden lesen, Bücher voller Zeichen, die wie Insekten aussehen, und was für Laute sie ausstoßen, wenn sie darin lesen, wie ein großer christlicher König einmal von einem Kalifen einen eisernen Hahn geschenkt bekam, der bei jedem Sonnenaufgang ganz von selber krähte, was es mit jener Kugel auf sich hat, die sich dreht und dabei Dampf ausstößt, wie die Archimedes-Spiegel brennen und Dinge in Brand stecken können, wie erschreckend es ist, wenn man nachts eine Windmühle sieht, und schließlich erzählte ich ihm vom Gradal, von den Rittern, die ihn noch immer in der Bretagne suchen, und daß wir ihn seinem Vater zurückbringen würden, sobald wir den treulosen Zosimos wiedergefunden hätten. Als ich sah, daß all diese Herrlichkeiten ihn faszinierten, zugleich aber ihre Unerreichbarkeit ihn betrübte, hielt ich es für gut - um ihm deutlich zu machen, daß es noch schlimmere Leiden gab als das seine -, ihm von den Folterqualen des Andronikos zu erzählen, mit Einzelheiten, die weit übertrafen, was ihm angetan worden war, von den Massakern in Crema, von den Gefangenen mit abgeschnittenen Händen, Ohren und Nasen,
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    ich malte ihm unsägliche Krankheiten aus, mit denen verglichen die Lepra das kleinere Übel war, ich beschrieb ihm als gräßliche Leiden die Skrofulose, die Wundrose, die Gürtelrose, den Veitstanz, den Tarantelstich, die Krätze, die einen dazu bringt, sich die Haut Schuppe für Schuppe aufzukratzen, den
    unheilvollen Biß der Aspisviper, die Marter der heiligen Agathe, der sie die Brüste abrissen, die der heiligen Lucia, der sie die Augen ausstachen, die des heiligen Sebastian, der von Pfeilen durchbohrt wurde, die des heiligen Stephanus, dessen Schädel von Steinen zertrümmert wurde, die des heiligen Laurentius, der bei kleinem Feuer auf einem Rost gebraten wurde, und ich erfand weitere Heilige und weitere Gräßlichkeiten, wie den heiligen Ursicinus, den sie vom Anus bis zum Mund mit einem Pfahl durchbohrten, den

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