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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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vorgehst, desto
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    mehr verfängst du dich hier, man kann nicht Kaiser sein, wo es schon einen Papst gibt, bei diesen Städten wirst du immer verlieren, weil du sie zur Ordnung zwingen willst, die ein Kunstprodukt ist, während sie in der Unordnung leben wollen, die der Natur entspricht - oder wie die Pariser Philosophen sagen würden, die die Bedingung der Hyle, des ursprünglichen Chaos ist. Du mußt den Blick nach Osten richten, über Byzanz hinaus, du mußt die Insignien deines Reiches in jenen
    christlichen Ländern errichten, die sich hinter den Reichen der Ungläubigen erstrecken, und mußt dich mit dem einzigen
    wahren Rex et Sacerdos zusammentun, der dort seit den Zeiten der Magier herrscht. Erst wenn du dich mit ihm verbündet hast oder er dir Vasallentreue geschworen hat, erst dann kannst du nach Rom zurückkehren und den Papst wie einen Untergebenen behandeln - und die Könige von Frankreich und England wie deine Steigbügelhalter. Erst dann werden die, die heute gesiegt haben, dich wieder fürchten.«
    Friedrich erinnerte sich kaum noch an die Weissagung Ottos, so daß Baudolino sie ihm ins Gedächtnis rufen mußte. »Schon wieder dieser Priester?« sagte er. »Existiert der denn wirklich?
    Und wo befindet er sich? Und wie kann ich ein Heer dazu bewegen, sich auf die Suche nach ihm zu machen? Man würde mich doch für verrückt erklären, ich würde als Friedrich der Irre in die Geschichte eingehen!«
    »Nicht, wenn in den Kanzleien aller christlichen Reiche, Byzanz Inbegriffen, ein Brief zirkulieren würde, den dieser Priester Johannes an dich geschickt hat und in dem er dir schreibt, daß er nur dich als seinesgleichen anerkennt und dich einlädt, eure Reiche zusammenzulegen.«
    So kam es, während sie da durch die Nacht gingen, daß
    Baudolino dem Kaiser den Brief des Priesters Johannes vortrug, den er natürlich längst auswendig konnte, und ihm erklärte, was die kostbarste Reliquie der Welt war, die ihm der Priester in
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    einem Schrein schicken würde.
    »Aber wo ist dieser Brief? Hast du eine Kopie davon? Du wirst ihn doch wohl nicht selber geschrieben haben?«
    »Ich habe ihn in gutes Latein gesetzt, ich habe die verstreuten Teile dessen zusammengesetzt, was die Weisen schon immer gewußt und gesagt haben, ohne daß jemand auf sie gehört hat.
    Aber alles, was in diesem Brief steht, ist so wahr wie das Evangelium. Sagen wir, wenn du so willst, ich habe von mir aus nur die Adresse hinzugefügt, so als wäre der Brief an dich geschrieben.«
    »Und dieser Priester könnte mir diesen - wie nennst du ihn? -, diesen Gradal geben, in dem das Blut Unseres Herrn
    aufgefangen worden ist? Das wäre natürlich die letzte und vollkommenste Salbung...«, murmelte Friedrich.
    Und so entschied sich in jener Nacht, zusammen mit
    Baudolinos Schicksal, auch das seines Kaisers, obgleich noch keiner der beiden ahnte, wohin sie ihr Weg schließlich führen sollte. Gegen Morgen, während beide noch über ein fernes Reich phantasierten, entdeckten sie nahe einem Wasserlauf ein verirrtes Pferd, das aus der Schlacht geflohen war und den Weg zurück nicht mehr fand. Mit zwei Pferden kamen sie,
    wenngleich über tausend Seitenpfade, rascher voran.
    Unterwegs stießen sie auf Trupps von Kaiserlichen, die sich auf dem Rückzug befanden, die Soldaten erkannten ihren Herrn und stießen Freudenschreie aus. Da sie sich in den Dörfern, durch die sie gekommen waren, mit Lebensmitteln versorgt hatten, gab es genug, um die beiden zu stärken, einige liefen gleich los, um den weiter vorn Marschierenden die frohe Kunde zu bringen, und als Friedrich zwei Tage später die Tore von Pavia erreichte, fand er die Honoratioren der Stadt und seine Getreuen vor, die ihn in großer Zahl erwarteten, noch ohne es recht glauben zu können.
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    Auch Beatrix war da, schon in Trauer gekleidet, da man ihr gesagt hatte, daß ihr Gemahl tot sei. Sie hielt ihre beiden Kinder an der, Hand, den bereits zwölfjährigen Friedrich, der jedoch wegen seiner angeborenen Krankheit nur höchstens halb so alt aussah, und Heinrich, der dafür die ganze Kraft seines Vaters geerbt hatte, an jenem Tag aber ganz verstört weinte und immer nur fragte, was passiert sei. Beatrix entdeckte Friedrich von weitem, lief ihm schluchzend entgegen und umarmte ihn
    leidenschaftlich. Als er ihr sagte, daß er sein Leben Baudolino verdanke, bemerkte sie dessen Anwesenheit, wurde erst über und über rot, dann leichenblaß, dann brach sie in Tränen aus, und schließlich

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