Bauern, Bonzen und Bomben
schlechter Regisseur, dieser Verteidiger. Er weiß Pausen zu machen, Erwartungen zu steigern. Der ganze Saal wartet.
»Herr Bürgermeister«, fängt der Verteidiger wieder an, »ist Ihnen außer jener Besprechung noch eine Willensäußerung der Regierung zugegangen?«
Gareis schließt einen Augenblick die Augen. Dann zögernd: »Ich erinnere mich nicht. Es waren so viele Verhandlungen …«
Der Verteidiger läßt sich Zeit. Er hat die Hände auf den Rücken gelegt und versucht, seine Schuhspitzen unter der Robe zu sehen.
»Nein, keine Verhandlungen«, sagt er. »Ich will Ihrem Gedächtnis nachhelfen. Ist Ihnen nicht ein Brief von der Regierung zugestellt, ein Geheimbefehl, den ein Schupooffizier überbrachte?«
Gareis sieht ganz geradeaus.
»Ja«, sagt er langsam. Und noch einmal: »Ja.«
»Und was enthielt dieser Geheimbefehl?«
Gareis sieht noch immer geradeaus. Er antwortet nicht.
»Ich will noch präziser fragen«, sagt der Verteidiger. »Enthielt dieser Geheimbefehl nicht die Weisung, mit aller erdenklichen Schärfe gegen die Bauern vorzugehen?«
Lange Stille.
Sehr lange Stille.
»Ja, Herr Bürgermeister, Sie werden schließlich doch antworten müssen.«
Gareis hat sich wieder. Er wendet sich zum Richtertisch. »Ist diese Frage zugelassen?«
|525| Um die Augen des Vorsitzenden spielen tausend Fältchen. Wie bedauernd bewegt er die Hände. »An sich ja.« Und nach einer Pause: »Aber Sie müssen natürlich wissen, wie weit die Aussageerlaubnis der Regierung reicht.«
Gareis besinnt sich. »Ich bin der Ansicht, die Erlaubnis reicht nicht so weit. Es handelt sich um einen Geheimbefehl.«
Der Verteidiger widerspricht: »Ich bin der gegenteiligen Ansicht.«
Und der Vorsitzende: »Das wird sich rasch entscheiden lassen. Wir haben einen Vertreter der Regierung hier im Saal.« Zu dem Tischchen gewendet: »Herr Assessor …«
Und der Assessor, eifrig: »Ich frage sofort bei der Regierung an.«
Er ist schon auf dem Wege aus dem Saal.
»Wir machen jetzt eine halbe Stunde Pause«, verkündet der Vorsitzende.
7
Tredup stürzt nach der Setzerei. Es ist beinahe zwölf Uhr, aber diese dicke Sache muß in die »Chronik«, heute noch. Das darf ihm nicht aus der Nase gehen.
Den Text selbst hat er schon während der Verhandlung mitgeschrieben, nun entwirft er Überschriften. Sie stellen sich von selbst ein.
Als erste, quer über die ganze Seite:
»Sensationelle Wendung im Bauernprozeß.«
Als zweite:
»Bürgermeister Gareis verweigert die Aussage.«
Durch die Expedition stürmend, ruft Tredup dem Wenk zu: »Komm schnell in die Setzerei. Eine große Sache. Zweihundert Exemplare im Straßenverkauf. Es muß aber noch gesetzt werden.«
Er berichtet mit fliegenden Worten.
Der Metteur murrt, aber er gibt das Manuskript doch in eine Maschine.
|526| Unterdes Wenk, sehr erstaunt: »Daß du so begeistert bist, Tredup! Ich denke, du kannst gut mit Gareis?«
Tredup stutzt einen Augenblick, dann: »Was hat das denn damit zu tun? Es ist doch so, wie ich schreibe. Und es kann ihn doch nicht ärgern, wenn ich schreibe, was ist?«
»Wenn du dich man nicht täuschst. Aber jedenfalls, für uns ist es gut.
Die
Nummer kauft jeder, der die Überschriften liest.«
»Ich muß gleich wieder zum Gericht. Tu mir den Gefallen, Wenk, und sieh rasch die Korrekturen durch, daß kein Mist stehenbleibt.«
»Meinethalben. Wenn das Ganze nur kein Mist ist.«
»I wo. Heute schlagen wir die ›Nachrichten‹. Heute mache ich mir eine Nummer bei Gebhardt.«
Als Assessor Meier den Saal verließ, hatte er vor, bei seinem Chef, dem Herrn Regierungspräsidenten Temborius, anzurufen. Aber von wo führt man ein solches Telefongespräch? Das ist doch ein Staatsgespräch, ein überaus wichtiges Gespräch. Er kennt ja seinen Herrn und Meister, bis ins kleinste wird er berichten müssen, wie Gareis die Differenzen mit der Regierung aufgedeckt, sich bei den Bauern lieb Kind gemacht hat.
Kann man solch ein Gespräch am Telefon führen? Überall gibt es Mithörer. Nein, Assessor Meier entschließt sich, nach Stolpe zu fahren. Das geht aber nur, wenn er vorher mit dem Vorsitzenden gesprochen hat, sich seines Einverständnisses versichert, sich vergewissert hat, daß er heute nachmittag seinen Posten verlassen kann, daß keine wichtigen Zeugen vorkommen. Nun, mit dem Vorsitzenden geht alles glatt, der sieht keine Bedenken.
»Vernehmen wir den Bürgermeister eben morgen oder übermorgen. Falls Ihre Antwort positiv ausfällt. Nein, heute
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