Bauern, Bonzen und Bomben
muß Gareis den Vorsitzenden leider unterbrechen.
»Bitte, nicht die religiöse Formel«, sagt er entschieden in die ersten Schwurworte hinein, und der Vorsitzende entschuldigt sich kurz.
Dann sagt Gareis aus.
Er sei nicht gegen die Demonstration gewesen. Erst ein in der Presse veröffentlichter Brief des Bauernführers Franz Reimers, der zu Kundgebungen vor dem Gefängnis aufforderte, habe ihn stutzig gemacht. Er habe dann mit dem Landwirt Benthin verabredet, daß er am Tage der Demonstration |522| mit den Führern noch einmal zu ihm kommen solle. Benthin aber habe sein Versprechen nicht gehalten.
Er selbst sei gegen Mittag nach Haus gegangen, um alles für seine Urlaubsreise vorzubereiten.
Schritt für Schritt ist während der Worte des Zeugen langsam und unaufhaltbar der schwarze Talar des Verteidigers vorgerückt. Der Rechtsanwalt hält den gelblichen Schädel gesenkt, die Hände liegen in den Falten der Robe.
Wäre dieser dunkle Schatten nicht, der gegen den Zeugen anrückt, alles wäre in Ordnung. Denn die leidenschaftslosen Worte von Gareis verbreiten Ruhe und Klarheit. Jetzt hebt der Verteidiger seine rechte Hand gegen den Vorsitzenden.
»Ich bitte, mir schon jetzt einige Fragen an den Zeugen zu gestatten, die vielleicht ein ganz anderes Licht auf seine Aussagen werfen werden.«
Der Vorsitzende macht eine gewährende Handbewegung.
Der Verteidiger sieht zur Erde. Er hebt den Blick auch nicht, als er langsam fragt: »Herr Bürgermeister. Hat nicht am Vortag der Demonstration eine Besprechung mit Regierungsvertretern stattgefunden?«
»Jawohl.«
»Hat an dieser Besprechung nicht auch Herr Polizeioberinspektor Frerksen teilgenommen?«
»Herr Frerksen war zugegen.«
Der Verteidiger spricht ganz langsam: »Ist in dieser Besprechung nicht von Regierungsseite gesagt worden, die Bauernschaftsbewegung sei gefährlicher als die KPD und man müsse daher besonders scharf gegen sie vorgehen?«
Gareis hat die Front geändert: Er spricht nicht mehr zum Richtertisch, er steht dem Verteidiger grade gegenüber und sieht ihn an. Justizrat Streiter hält den Kopf etwas schräg zur Seite, er sieht empor zu dem Riesen vor ihm. Gareis antwortet ebenso langsam, aber völlig ruhig: »Die Verhandlungen mit den Regierungsvertretern haben längere Zeit gedauert, |523| eine Stunde, vielleicht zwei Stunden. Einzelner Wortlaut ist mir also nicht mehr erinnerlich. Ich glaube aber nicht, daß Worte in der eben genannten Fassung gefallen sind.
Inhaltlich ist zu sagen, daß zwischen meiner Auffassung und der Auffassung der Regierung Meinungsverschiedenheit bestand. Diese Meinungsverschiedenheit besteht heute noch. Die Regierung wünschte völliges Verbot der Demonstration. Ich sah dazu weder rechtlich eine Handhabe noch innenpolitisch einen Grund. Ich habe das Verbot abgelehnt.«
Assessor Meier an seinem Tischchen stöhnt: »Ich wußte es doch! Nun ist der Topf entzwei. Oh, mein Chef! Oh, mein Chef!«
Der Verteidiger fragt: »Konnte ein Dritter aus den Worten der Regierungsvertreter entnehmen, daß die Regierung ein exzeptionell scharfes Vorgehen gegen die Bauernschaft wünschte?«
Gareis zögert einen Augenblick. Sein Auge irrt ab zu jenem Sitz im Zuschauerraum, auf dem der Oberinspektor Platz genommen hat.
Doch es ist nur ein Augenblick. Dann antwortet er ebenso ruhig: »Dieser Eindruck ist tatsächlich entstanden. Ich muß nachtragen, daß ich etwa eine Viertelstunde bei den Verhandlungen nicht zugegen war. Ich sprach in dieser Zeit mit dem Landwirt Benthin. Was Oberinspektor Frerksen in dieser Zeit mit den Herren von der Regierung gesprochen hat, weiß ich natürlich nicht. Als ich wiederkam, stand er aber entschieden unter dem Eindruck, daß die Regierung ein besonders scharfes Vorgehen wünschte. Ich habe ihn nicht im Zweifel darüber gelassen, daß meine Wünsche andere waren.«
»Hat ihn preisgegeben, den Frerksen!« frohlockt Stuff ganz laut an seinem Tisch.
»Ich stelle fest«, sagt der Verteidiger, »daß der Oberinspektor Frerksen unter dem Eindruck stand, die Regierung wünsche ein besonders scharfes Vorgehen gegen die Bauern. Ob Herr Frerksen später nach dem Wunsch seines direkten Vorgesetzten handelte oder nach dem der Regierung« – der |524| Anwalt zögert –, »das können wir allein aus seinem Verhalten während der Demonstration folgern.«
Pause.
»Ihre Fragen sind erledigt, Herr Justizrat?« fragt der Vorsitzende.
»Nein«, sagt der Verteidiger. »Nein, noch nicht.«
Wieder Pause.
Er ist kein
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